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das Jahr in die Stille führen und in den Staub legen? Es ist peinigend, so ungewiß einer Größe gegenüber stehen, die man doch beherrschen soll! Sonst wird jede Aufgabe ein wenig dir vorher zergliedert und erklärt; du sagst vielleicht, wenn ich ihre Schwierigkeit ganz gekannt hätte, hätte ich sie nicht übernommen – aber etwas ahntest du doch von ihr! Dagegen die nächste erste Pflicht, ein Jahr zu durchleben, ist zugleich die Pflicht dem völlig Ungewissen gegenüber. Und nun wes soll ich mich trösten, da jede Stunde mir ein neues Rätsel ist und jeder Tag neues Geheimnis bringt? Ich hoffe auf dich! Unsere Väter liefen zu Dir und wurden nicht zu schanden, zu Dir riefen sie und Du halfst ihnen aus! Wenn ich alles bedenke, wie Du von der Welt her gerichtet hast, so werde ich getröstet. Ich will den Namen Gottes in der Not der Ungewißheit anrufen: „Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen möge, der Du zugesagt hast, mir zu helfen!“ Wenn alles ungewiß ist, „sei Du mir nur nicht schrecklich, meine Hilfe zur Zeit der Not!“ Du einiger Fels wandle dich nicht für mich – wenn ichs gleich verdient habe – in Flugsand, daß ich nicht mehr wüßte, wo mein Fuß ausruhen und Stand haben kann!

 Sei du mir nicht schrecklich, meine Hilfe zur Zeit der Not!

 Und zur Not der Ungewißheit kommt als andere Not: die Not der Gewißheit. Diese Not, daß ich nicht weiß, was morgen sein wird, das ist nicht mehr Ungewißheit, sondern die allergrößte Gewißheit! Die Gewißheit, daß der Morgen der letzte sein kann und daß ein Morgen der letzte sein muß. Eine schreckhafte Gewißheit: daß ich sterben muß, daß ich Wünsche anlege, die die Zeit nicht einlöst, Arbeiten beginne, die die Zeit nicht fertig bringt, Vorsätze fasse, die an meinem Grabe unerfüllt stehen! Eine furchtbare Gewißheit, daß ich sterben muß! Und