hervor. „Und ich will auch dem Musagetes ein besonderes Opfer dafür bringen, daß er mich keinen Politiker werden ließ. … Höre mich an, guter Solon! Wenn schon Alles wäre, wie Du sagst – woher weißt Du, ob nicht morgen ein Anderer dasselbe finden wird, was Eukosmos fand? Es ist ein Zufall, daß er gerade hierher kam, die Omphale lieben mußte, und daß wir diese Dinge erfuhren. Den Anderen werden wir nicht kennen und er wird den Hunger auch abschaffen, was ich, nebenbei gesagt, nicht beklagen könnte. Denn ich, Solon, ich weiß, wie der Hunger schmeckt. Vielleicht bin ich darum ein volksthümlicher Poet.“
Solon entgegnete: „Ich würdige Deine Gründe, Aesop. Es ist möglich, daß Eukosmos einen Nachfolger bekommt. Die Frage ist nur: wann? Es können darüber Jahrtausende vergehen. Diese sind dem menschlichen Geschlecht nicht verloren, wie Du in Deiner dichterischen Gutmüthigkeit meinst, sondern gewonnen. Wie hoch ist heute das Land der Griechen in der Gesittung, wenn wir es mit der alten Zeit vergleichen. Wir danken es dem Hunger, der uns die Arbeit lehrte. Die Arbeit veredelt sich in ihrer feinsten Blüthe zur Kunst, gleichwie das Nachsinnen über den eigenen Vortheil sich bis zur erhabenen Philosophie steigern kann. Wer weiß, welche Atlantis noch auf unbekannten Meeren der Entdecker harrt. Ich kann mir denken, daß die Menschen einer späteren Zeit auf schnelleren Wagen von Athen nach Korinth reisen werden als wir. Ich kann mir sogar noch tüchtigere Schiffe denken als unsere gewaltigsten Triëren. Lähmet mir den Erfindungsgeist nicht! Vielleicht kommen auch noch wolkenlose Tage der Menschheit, in denen sie den Hunger nicht mehr braucht. In solche Ferne reicht freilich mein Blick nicht. … Kroisos,
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)