Seite:Herzl Philosophische Erzaehlungen.djvu/220

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war lachende, blitzende junge Jugend in Meier’s Darstellung, eine wilde Grazie, etwas Köstliches. Was war denn geschehen? Ein Wunder. Der Schusterssohn hatte zufällig eine Seele, und sie war erwacht. Im geblümten Stil der „Volksstimme“ könnte man sagen: „Aus der unscheinbaren Knospe hatte sich über Nacht eine unerwartete Blüthe entfaltet.“

Eberling schäumte. Doch nur während der ersten Akte. Im vierten Aufzuge, eben als Meier seine Hauptscene hatte, kam Eberling hinter die Coulissen und bemerkte Herrn Schaumschlager. Dieser bedeutende Mime saß auf einer Kiste, schwer athmend, mit vorgebeugtem Kopf, und lauschte, lauschte. Wie Eberling das wuthverzerrte Gesicht seines älteren Rivalen sah, da schäumte er plötzlich nicht mehr. Mit einem Blick erkannte er, was in dem gequälten Gemüthe seines Kollegen vorging. Er verstand ihn. Der Erfolg da draußen brach dem Meier’schen Wohlthäter beinahe das Herz. Auch Herrn Eberling war recht weh zu Muthe. Das gemeinschaftliche Unglück führte diese Männer, die sich so innig gehaßt hatten, jählings wieder zusammen. Schaumschlager warf sich, ohne ein Wort zu reden, an Eberling’s Brust … Jetzt drang die frische, warme, junge Stimme Meier’s von der Bühne her deutlich zu den beiden Horchern, es waren seine letzten Worte vor dem Abgang. Und dann brach der Beifall los, ein Gewitter, eine donnernde Brandung. Noch bei offener Scene wurde Meier zehnmal gerufen.

Während dies geschah, stand Schaumschlager bebend, empört, vernichtet hinter der bemalten Leinwand. Er stützte sich auf die Schulter des treuen Eberling und röchelte:

„Der Undankbare, der Undankbare! …“

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/220&oldid=- (Version vom 1.8.2018)