Nicht viel werth, die Familie, aber er hing an ihr. Er dachte immer an die Anderen mehr als an sich selbst. Die Mutter, die Brüder und Schwestern, die Freunde waren seine größte Sorge. Das Lebensmittelgeschäft wuchs rasch. Seine Brüder nahm er als Kommis, die Schwestern dienten als Verkäuferinnen, die geizige Mutter saß an der Kasse. Das Schwerste und Gefährlichste machte er immer selbst. Man mußte ihn gern haben, weil er sich so gar nicht schonte. Nur seine Geschwister, denen er Wohlthaten erwies, hatten ihn nie recht lieb.“
„Jawohl“, sagte Herr Godefroy, „eine Wohlthat ist die größte Beleidigung, die man Verwandten zufügen kann.“
Pétout fuhr fort: „Als die Approvisionirung von Paris regelmäßiger wurde, begriff unser Chef, daß dieser Zweig nicht mehr so einträglich sein werde. Allmählich wandelte er das Geschäft um, indem er es vergrößerte. Er kaufte Gegenstände zusammen, die in der Schreckenszeit tief im Werthe gesunken waren. Bei Buonaparte konnte man die verschiedensten Waaren kaufen und verkaufen. Einmal übernahm er von einem bankerotten Sargfabrikanten dessen sämmtliche Särge, ein andermal erwarb er aus dem Nachlaß eines Thierbändigers Löwen, Schlangen und Affen. Sein Plan war einfach und groß: er wollte das Waarenhaus des Universums schaffen. Und er schuf es. Niemand wußte, wozu er diese mannigfaltigen, zusammenhanglosen Sachen aufstapelte. Es wäre ein wahnsinniges Durcheinander gewesen, ohne seinen ordnenden Geist. Ich war jeden Tag in seiner Nähe, ich sah Alles, was er machte, und doch hatte ich das Gefühl, daß eine Zauberei geschehen sei, als er einen Komplex von Häusern miteinander verband, Zwischenmauern niederreißen ließ und Uebergänge herstellte. Das Ganze bekam den Namen:
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/233&oldid=- (Version vom 1.8.2018)