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daß er genesen sei. Und so entließ man ihn denn nach mehreren Monaten als geheilt.

Joseph Müller war nicht dumm, obwohl er ein Genie war. Er hatte den Sinn für das Wirkliche und sah mit lichten Augen in die Bedürfnisse des gewöhnlichen Lebens hinein. Er sagte sich, daß er seine Einbildungskraft nur herunterzuschrauben brauche, um ein sogenanntes nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden. Er ging zu einem Elektriker und verbesserte diesem binnen kurzer Zeit mehrere Apparate, so daß ihn der eiligst zum Geschäftstheilhaber machte, um sich ihn zu erhalten. Vom lenkbaren Luftschiffe war nicht mehr die Rede. Wohl aber schuf er einen neuen Korkzieher, einen Hosenstrecker, eine Wäscherolle, ein Sparbügeleisen für Schneider, kurz, Erfindungen, durch die man sich die bürgerliche Achtung erwirbt. Sie trugen ihm sonst nicht viel ein, weil er sie nicht in allen Ländern patentiren ließ. Auch diesen letzten Rest von Idealismus streifte er ab, als er die selbstthätige Bremse für Eisenbahnen konstruirt hatte. Er verkaufte die Bremsen-Idee für fünfzigtausend Gulden an einen Unternehmer, der daran reich wurde. Als jene schnippische Jungfer davon hörte, bettelte sie sich mit ihrer Liebe und Bewunderung an ihn heran. Er gab ihr einiges Geld und bat sie, ihn nicht weiter zu behelligen. Er wurde immer praktischer und geehrter. Jetzt erfand er einen unzerreißbaren Gummischlauch für Fahrräder und verdiente damit seine erste Million. Eine neue Gasglühlampe brachte ihm zwei Millionen und den Weltruhm. Endlich errichtete er eine große Maschinenfabrik, aus der die gewaltigsten Lokomotiven hervorgingen.

Als Joseph Müller so weit war, übergab er alle seine Unternehmungen den Geschäftsführern und reiste ab. Er

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)