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angefüllt mit tausend wunderbaren Räthseln; er weiß nicht, wo und wovon er leben wird – und darin liegt seine ewige Jugend. In geordneten Verhältnissen wäre seine Spannkraft längst verdorben. Er fühlt sich nur wohl in der Bedrängniß und heimisch nur unterwegs. Er hat nichts, und darum gehört ihm die Welt. In farbigeren Zeiten, als es diese sind, wäre er – halb Spitzbube, halb Ritter – ausgezogen auf die wilden Streiche, hätte ein gutes Schwert für jede schlechte Sache gelüftet. Aber auch ohne Lederwamms und Raufdegen, in der bürgerlichen Tracht, die er einem vorzüglichen Londoner Kleidervirtuosen schuldig bleibt, umweht es ihn wie ein Duft von Aventiuren, der die Weiber berauschen muß. Ein Lump und Aufschneider von verführender Liebenswürdigkeit. Von seinen Gaunerstücken redet er nicht ohne Selbstgefälligkeit wie von Heldenthaten. Und wenn er der Frauen gedenkt, die ihn betrogen oder die er betrog, so schimmern seine Augen in schöner Rührung. Denn er ist auch sentimental, der Strolch. Oder ist das nur eine seiner vielen lustigen Masken, die er vorbindet zum Vertreib einer Viertelstunde? Vielleicht ist er stets aufrichtig, vielleicht lügt er immerwährend? Man weiß ja bei ihm nie, ob er scherzt oder ernsthaft redet; doch glaube ich, daß nicht alles erfunden war an der wunderlichen Geschichte, die er mir heute vor acht Tagen erzählte, als wir uns zufällig in einem Restaurant getroffen hatten und durch die stillen sommernächtlichen Straßen schlenderten. Er legte mit beseligender Vertraulichkeit seinen Arm in den meinigen und sprudelte unaufhaltsam alle seine neuen und alten Witze hervor, die bald von betrübender Geschmacklosigkeit sind, und bald zu brüskem Gelächter kitzeln.

Wir waren, ohne des Weges zu achten, aus der

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/61&oldid=- (Version vom 1.8.2018)