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denn es konnte dem Mädchen nur nützen, wenn es hieß, daß sie den Spangelberg an sich fess’le. Und so kam die Geraldini – ich nannte sie schon Geraldini – zu dem Renomee, jahrelang meine – wie soll ich sagen – Gefährtin gewesen zu sein. Und wie sah es mit unserm „Verhältniß“ in Wahrheit aus? Sie ging mit mir wie ein Murmelthier mit dem Savoyarden, der es abrichtet. Sie ließ mich so kalt, so kalt! Ich sah immer noch die ungepflegte widerwärtige Schusterstochter in ihr. Auch hatte sie abscheuliche Gewohnheiten. Bis ich ihr nur das Kauen an den Nägeln abgewöhnte … für mich war und blieb sie die Klimpfinger, der Klotz. Reine Geschäftssache.

Und endlich war sie soweit, daß ich sie in kleineren Städten auftreten lassen konnte. Ich brauche Ihnen das nicht ausführlich zu erzählen. Wenn Sie eine Künstlerbiographie kennen, kennen Sie alle. Erst sind die Leute spröde, spöttisch, gleichgültig, dann kriegt man sie herum. Die Hammel springen … Ich übergehe das Unwesentliche – von den ersten Bouquets, die ich bezahlte, bis zu den Treibhauswäldern, die man ihr später schickte; von dem Selbstmord aus Liebe zu ihr, den ich erfunden, bis zu dem armen dummen Jungen, der sich thatsächlich in ihrem Vorzimmer eine Kugel durch den Kopf jagte. Die Geraldini war gemacht. Sie kennen ja den weiteren Verlauf ihres Triumphzuges … Sie ist sehr überschätzt worden – das sage ich Ihnen. Es ist wahr: ich hatte sie großartig inszenirt. Dennoch verblüfften die Erfolge mich selber. Sie sang ja wirklich nicht schlecht, aber es hat Viele gegeben, die besser sangen. Nur ging von ihr ein gefährlicher und sonderbarer Zauber aus, über den ich lachte, und auf den ich stolz sein konnte, denn ich war der Hexenmeister, der ihn gebraut …

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/67&oldid=- (Version vom 1.8.2018)