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ER:
Ich habe dich enttäuscht? Oh, meine Seele glüht
Noch jung, wenn auch der Leib verblüht.

ERINNA:

80
Wenn das Verblühen heißt, so hab’ ich dieses Wort

Bisher verkannt. Verblühen ist dann Glanz,
Ist Schönheit, Rausch – Entzücken –
Ja, dann verblüht die Sonne auch
Wenn sie im Frührot neu dem Meer entsteigt,

85
Dann altern auch Gestirne,

Wenn sie uns leuchtend grüßen durch die Nacht.

ER:
Und weßhalb willst du dann dich von mir wenden?
Ist’s, weil mit kinderfrohen Händen
Die Mädchen zärtlich mich umfassen?

90
Oh, nun versteh’ ich dein Erblassen

An diesem Morgen. Komm, Erinna, komm,
Gar manche Fackel mir verglomm,
Doch unsre Fackel soll die letzte sein,
Die wir den alten Göttern weih’n.

95
Komm, lange sehnt’ ich mich

Eh du mir nah
Komm, lange liebt’ ich dich
Eh ich dich sah. –

ERINNA:
Was sag’ ich dir, es sind ja doch nur Worte

100
Und meine Seele ist’s, die nach dir schreit

Wie jene Menschen, die des Paradieses Pforte

Empfohlene Zitierweise:
Sophie Hoechstetter: Vielleicht auch Träumen. Müller, München und Leipzig 1906, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hoechstetter_Vielleicht_auch_Traeumen.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)