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etwa innehaftet, sondern sie entsteht durch eine ganz besondere Reinigung derselben durch das Blut Christi. Die Ziegenhaare, d. h. das daraus gewobene Tuch bedeutet den Geist der Weissagung in der Kirche, in jedem ihrer Glieder. Der Bock, welcher sich gerne auf den Höhen der Berge aufhält, bildet diejenigen vor, welche in dem Gebiet himmlischer Offenbarungen leben und sich in ihren Gedanken mit den übernatürlichen Beziehungen der Dinge beschäftigen etc. In einer andern irvingianischen Schrift: „Erzählungen von Thatsachen etc.“ werden zu Ezech. 14, 20–22 folgende Deutungen gegeben: der Löwe ist das Apostelamt, der Adler das Prophetenamt, der Mensch das Evangelistenamt, das Kalb (anderwärts auch der Kalbfuß) das Hirten- oder Lehramt. Doch es sei genug mit den angeführten Beispielen, die leicht verzehntfacht werden könnten. Verdient diese willkürliche spielende Auslegungsweise ein anderes Urteil als dasjenige, welches Luther über sie fällte: daß sie ein reines Gaukelwerk sei?

 Werfen wir endlich noch einen Blick auf die irvingianische Lehre vom heiligen Abendmahl. Eine der allerwichtigsten Errungenschaften der Reformation ist die Unterscheidung zwischen Sacrament und Opfer. In seiner mit unübertrefflicher Klarheit geschriebenen Auseinandersetzung in der Apologie (Art. 24 [12] de missa) bestimmt Melanchthon den Unterschied zwischen Sacrament und Opfer also: das Sacrament ist ein Werk, dadurch uns Gott dasjenige gibt, was die angefügte Verheißung darbeut. Hiegegen das Opfer ist ein Werk, das wir Gott darbringen, damit wir ihn ehren. Es sind aber nur zweierlei Art Opfer: das Sühnopfer, dadurch genug gethan wird für Schuld und Strafe, welches Gott versöhnt, mithin andern die Vergebung der Sünden verdient; und das eucharistische Opfer (d. h. Lob- und Dankopfer), welches von den Versöhnten geschieht, damit wir für die Vergebung der Sünden oder andere empfangene Wolthaten Gott danken. Das einige Sündopfer in der Welt aber ist der Tod Christi, von dem die alttestamentlichen Sühnopfer nur Schatten und Vorbild waren. Alle Opfer der Gläubigen sind eucharistische Opfer (Lob- und Dankopfer). – So ungefähr Melanchthon. Demnach kann das heil. Abendmahl, als eine Darreichung Gottes an uns, nicht ein Opfer, sondern nur ein Sacrament sein. Wohl hat die alte Kirche in einem gewissen untergeordneten Sinn von einem Opfer im heiligen Abendmahl gesprochen. Die Darbringung der Elemente (des Brotes und Weines), die begleitenden Lob- und Dankgebete, endlich die dabei dargebrachten Liebesgaben der Gläubigen für die Armen der Gemeinde – dies verstand die alte Kirche unter dem Opfer im heil. Abendmahl.

 Offenbar also hatte im Sinne der alten Kirche das Opfer beim heil. Abendmahl nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Hauptsache war und blieb ihr der Empfang dessen, was Gott im Sacrament des Altars uns darreicht, der Empfang der Himmelsgüter des Leibes und Blutes Jesu. Der Irvingianismus aber kehrt dies richtige Verhältnis vollständig um. Ihm fällt das Hauptgewicht beim Abendmahl auf das Opfer der Gemeinde (das er allerdings nicht als Sühnopfer, sondern als Lob- und Dankopfer aufgefaßt haben will), während die Kommunion an Bedeutung dahinter