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Wie schön mußte sie gewesen sein! Und nicht nur von Angesicht, welches noch jetzt Spuren fast intelligenter, beim Landvolk dadurch ungewöhnlicher Schönheit trug, sondern auch von einer anderen, inneren Schönheit, voll von wildem, unentwickeltem Künstlertum und einer ewigen Jugend, die noch jetzt in jedem ihrer Worte und jedem Blicke ihrer klugen, leuchtenden Augen durchbrach; in jeder Bewegung ihrer schlanken Gestalt und am meisten in der lebhaften Bewegung ihres Kopfes, der, voller Koketterie mit einem rotgeblümten Tuche geschmückt, den Blick unbewußt an sich fesselte.

Sie hatte nichts von jenem groben „Etwas“ in sich, das mit dem Ausdruck „Bauernhaftigkeit“ bezeichnet wird und mit dem sich das feine Gefühl weder vereinigen, noch sonst vertragen kann.

„Verdreht!“ wiederholte die Frau, „und zuletzt nahmt ihr einen alten Witwer zum Manne; war’s nicht so, Paraska? Euer Mann war Witwer?“

Sie sah die Frau durchdringend an.

„Wenn auch! Ist denn ein Witwer kein Mensch? Nun ja,“ fügte sie dann hinzu, „ich heiratete ihn wohl; aber das war eben Gottes Wille und der Wille der Sudjilnetzi!“

Empfohlene Zitierweise:
Olga Kobylanska: Kleinrussische Novellen. J. C. C. Bruns’ Verlag, Minden i. Westf. [1901], Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:KobyljanskaKleinrussischeNovellen.pdf/118&oldid=- (Version vom 13.9.2022)