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Kunstleichen bemächtigt, seien diese eines natürlichen Todes gestorben oder zu dem Zwecke erst umgebracht, d. h. ihres künstlerischen Geistes beraubt, um an diesen ihre Anatomie zu betreiben. Aber an den lebendigen Leib der Kunst, d. h. an die Tätigkeit bei der Schöpfung neuer Kunstwerke, wird er sie um keinen Preis heranlassen wollen, schon wegen der Phantasie, „daß die alte Schwiegermutter Weisheit das zarte Seelchen ja nicht beleidige.“

Diese Äußerung Goethes ist eine von den zahllosen, die alle den gleichen Gedanken ausdrücken, und es erscheint hoffnungslos, gegen so gewichtige Autoritäten auftreten zu wollen. Aber der Professor ist nach der maßgebenden Definition der Fliegenden Blätter ein Mann, welcher anderer Meinung ist, und so bitte ich mit Geduld anzuhören, was ich nach der anderen Seite vorzubringen habe. Es ist vor allen Dingen der Umstand, daß Kunst und Wissenschaft wegen ihrer Bedeutung für die Kultur der Menschheit von vornherein aufeinander angewiesen sind. Und es ist zweitens der Umstand, daß in ihrem ursprünglichen Wesen Kunst und Wissenschaft Kinder derselben Eltern sind, Kinder der Not und der Freude des Lebens.

Alle Reste ältester Kultur zeigen uns die Kunst und Wissenschaft jener Zeiten unauflöslich zu einer

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Wilhelm Ostwald: Kunst und Wissenschaft. Verlag von Veit und Comp., Leipzig 1905, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Wissenschaft.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)