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anzustreichen, in einer stadt, in der das fladern der einzige anstrichdekor des holzes ist, ist dieser satz sehr gewagt. Es scheint hier leute zu geben, die dergleichen für vornehm halten. Da die eisenbahn- und trambahnwagen, wie der gesamte wagenbau, aus England stammen, so sind sie die einzigen hölzernen objekte, die absolute farben zur schau tragen. Ich wage nun zu behaupten, daß ein solcher wagen – besonders einer der elektrischen linie – mir in seinen absoluten farben besser gefällt, als wenn er, nach dem schönheitsprinzipe der ausstellungskommission, „wie mahagoni“ gestrichen wäre.

Aber auch in unserem volke schlummert, allerdings verscharrt und vergraben, das wahre gefühl für vornehmheit. Sonst könnte die bahnverwaltung nicht mit dem umstande rechnen, daß die braune, also in der holzfarbe gestrichene dritte klasse das gefühl von weniger vornehmheit wachruft als die grüne zweite und erste.

Auf drastische art habe ich einst einem kollegen dieses unbewußte gefühl nachgewiesen. In einem hause befanden sich im ersten stockwerk zwei wohnungen. Der mieter der einen wohnung hatte auf seine kosten die fensterkreuze, die braun gefleckt gewesen waren, weiß streichen lassen. Wir schlossen eine wette ab, der zufolge wir eine bestimmte anzahl von personen vor das haus führten und sie, ohne auf den unterschied in den fensterkreuzen aufmerksam zu machen, fragten, auf welcher seite ihrem gefühle nach der herr Pluntzengruber und auf welcher Seite der fürst Liechtenstein wohne, zwei parteien, die wir uns in das haus einzumieten erlaubten. Einstimmig wurde von allen hinzugeführten die holzgefladerte seite für die Pluntzengruberische erklärt. Mein kollege streicht seither nur mehr weiß.

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)