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Zeit angehört, aber dennoch kein bloßes Werk der Natur ist, mag er schon dem Urvolke dieser Gegend, oder, wenn man ein solches nicht annehmen will, der frühesten Bevölkerung merkwürdig und wichtig geworden sein. Die mythische Zeit erkor das Innere dieses Berges zu einem der Wohnorte der mächtigen Holde, die, wenn sie die Nachtseite ihres Wesens herauskehrte, zugleich auch Unholde sein konnte, und stellte sie an Wuotans Statt als Zugführerin an die Spitze seines Heeres. Das frühe Mittelalter bildete aus der Frau Hulda eine Teufelin, wandelte das Innere des Berges zur Fegefeuerstätte um, und vernahm aus der Bergeskluft das wimmern und das Klagegeschrei der gepeinigten Seelen, gab davon dem Berge den Namen Hör-Seelen-Berg, und nannte ihn lateinisch Mons horrisonus, der schrecklichtönende Berg.

Das spätere Mittelalter legte seine poetische Anschauung an das alte heidnische Götterwesen; es bildete die Frau Hulda oder Holde zur holden Liebesgöttin, zur Frau Venus um, eine Heidengottheit mit germanischem Element und teuflischem Wesen. Hatte die frühe deutsche Heldensage der greisen, grauen Holda auf ihren Heereszügen einen greisen Begleiter gegeben, der zugleich ein Warneramt übte, den treuen Eckart (s. o. Sage 44.), so gab die spät mittelalterliche Sage ihrer Frau Venus einen jungen Gesellen, den Ritter Danhäuser, den sie zu sich in ihren Wunderberg gelockt, und dem es endlich vor ihr graute. Wie aber fast alle bedeutenden Sagen sich verjüngen, und welche Sagengruppe Thüringens könnte bedeutender sein, als die in Rede stehende? – so hat die Frau Venus- und Danhäusersage wiederum eine Verjüngung in jüngster Zeit erlitten, daß der Ritter Danhäuser ein Minnesinger gewesen

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)