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Heer ward gedacht als ein Todtenheer, als eine unselige Schaar, bestehend aus den Seelen ungetauft verstorbener Kinder, wie die tirolische Perchtl sie führt, und den Seelen aller Menschen, die eines gewaltsamen Todes gestorben; in letzterer Beziehung ist es Nachhall der frühesten Mythe von der Einheriar-Schaar, der gefallenen Kampfhelden, die mit Odin nach Walhalla ziehen. Nach ursprünglicher Mythe war also das Heer zunächst ein Kriegsheer, ein Heer der Starken, unter männlicher Führung, und ein Seelenheer, ein Heer der Schwachen, unter weiblicher. Spätere Sage verschmolz beide, und wol dann erst trat die dritte Beziehung, die einer Jagd hinzu, als des Heeres letzte Verjüngung. Mit der Jagd war es leicht, den Teufel, den Helljäger, den Seelenjäger, in Verbindung zu bringen, und so wurde das wüthende Heer zugleich ein teuflisches, sein Umzug war Strafe, Buße, analog der Buße im Fegefeuer, dessen Oertlichkeiten auf der Erde selbst man kannte und nannte. Daher wurde auch die Huldenhöhle am Venus- oder Hör-Seelen-Berge von der späteren Sage zur Fegefeuerstätte erkoren. Die Harzsage vom wilden Jäger Hackelnberg, die rheinische vom Wild- und Rheingrafen, welche Bürger poetisch behandelte und alle übrigen, welche die Jäger nennen, sind lauter spätere Verjüngungen. Von dem Heerzuge in Thüringen erzählt M. Johann Agricola in seinen Deutschen Sprichwörtern wörtlich:

„Ich habe neben anderen gehört von dem würdigen Herrn Johann Fremderer, Pfarrherr zu Mansfeld, seines Alters über achtzig Jahr, daß zu Eisleben und im ganzen Land zu Mansfeld das wütend Heere (also haben sie es genennet) fürüber gezogen sei, alle Jahr auf den Fasnacht

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/128&oldid=- (Version vom 1.8.2018)