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der sich ihr in die Heiligenglorie verwandelte, pflückt die Geschichtforschung manches Blatt, und legt es still bei Seite, die Sagenforschung hat das schöne Vorrecht, jenen unsterblichen Kranz in voller Frische und ungeschmälert aufzubewahren.

Mit Elisabeth waren aus Ungarn auch ihre Amme und ein fünfjähriges Mägdlein, des Namens Jutta, letztere jetzt zu ihrer Gespielin, später zum Hoffräulein bestimmt, gekommen. Elisabeth war ein lebensfrohes, gutes Kind, das sich aber frühzeitig frommen Sinn aneignete, und diesen immer mehr zur Erscheinung kommen ließ, als auch sie vom Leben nicht immer sanft berührt wurde. In früher Jugend schon offenbarte sich bei Elisabeth der Zug der Milde und Barmherzigkeit gegen Nothleidende, der sie in ihrem späteren Leben so verehrungswürdig machte, ihr aber auch gar manchen Tadel zuzog, manches harte Urtheil gegen sie hervorrief.

Frühzeitig trat der Schmerz an das Kind Elisabeth heran. Sie zählte sechs Jahre, als die Königin, ihre Mutter, eines gewaltsamen Todes starb. Frau Gertrud soll der jungen Tochter einigemale im Traume erschienen sein, und gewiß machte die Kunde eines so schweren Ereignisses auf das früh reifende Kind einen tiefen Eindruck, bestimmte mit ihre ernste, fromme, vielleicht für ihr Alter schon zu strenge Lebensrichtung. Daher manche Mißbilligung von Seiten der Pflegemutter Frau Sophia, mancher Hohn der niedern Dienerschaft, manche spöttische Bemerkung der höheren. An einem Himmelfahrttage Maria’s ging die Landgräfin mit der eigenen Tochter Agnes und mit Elisabeth im Festschmucke nach Eisenach herab in die Kirche. Elisabeth nahm gegenüber dem Bilde des dornengekrönten Heilandes

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/169&oldid=- (Version vom 1.8.2018)