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Schmerzen, aber ihre Diener drängten sie zur Eile, und da sie sah, daß es nicht anders sein konnte, küßte und segnete sie die Söhne und sonderlich küßte sie Friedrich ohne Aufhören und biß ihn aus herzbrechender Mutterliebe heftig in die Wange, daß sie blutete, und wollte auch Diezmann also zeichnen, aber Rudolf der Schenke wehrte es ihr, und fragte: Wollet Ihr die Kinder erwürgen? Sie aber sprach: Ich habe Friedrichen gebissen, daß er, wenn er erwachsen, stets an diesen großen Jammer seiner Mutter und an dieses trauervolle Scheiden gedenke. Nun war nur noch die schwere Frage: wie entkommen? Denn das Burgthor war verschlossen, wohl verwahrt und bewacht, und Margaretha mußte aus dem von ihr bewohnten Bau vor in das Ritterhaus gehen, dort befand sich ein Gang, der zum Theil noch heute vorhanden ist und der Margarethengang heißt, der hing hart über der Burgmauer und hoch über dem waldigen und felsigen Abhange nach Westen, dort wurde sie an Seilen und Bändern, welche die Frauen aus Bettlacken geschnitten und fest aneinander geknüpft hatten, hinunter gelassen, mit ihr eine ihrer Jungfrauen und eine Kammermagd und zuletzt auch der Eseltreiber, der als Wegezeiger dienen mußte, und so kamen sie in aller Stille auf den schmalen Pfad, der an der hintern Seite der Burg um diese zieht, und stiegen steil hinab in den Burghain, kamen in die Thaltelle der Silbergräben und gewannen von da aus die waldige Straße, die über Marksuhl und Vacha gen Frankfurt führt. Und gingen noch dieselbe Nacht mit Jammer und Leid bis zur Burg Krainberg, welche damals dem Stifte Hersfeld zugehörte; dort nahm sie der Amtmann willig auf, die Tochter eines Kaisers, und ließ sie andern Tages weiter gen Fulda geleiten.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/205&oldid=- (Version vom 1.8.2018)