Seite:Ludwig Bechstein - Thüringer Sagenbuch - Erster Band.pdf/214

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Orten sündenabbüßender Qualen, die aus grauen Zeiten her in dieser Gegend ganz besonders als vorhanden geglaubt wurden, hatte noch volle Geltung. Jedem der aus den Fenstern des Wartburgpalastes nordostwärts blickte, stand des Hörseelenberges oft majestätisch grauenvoll erscheinende Sarggestalt vor Augen, und die Kunden vom büßenden Todtenheere unter Frau Holle’s Führung, von der in Flammen sich läuternden Seele des Gemahles der Königin Reinschwig, von der aus Gluthen emportauchenden Seele des eisernen Landgrafen waren noch keineswegs vergessen. Daher regte sich im Gemüthe des Sohnes Friedrichs des freudigen derselbe Wunsch, den Ludwig der Milde empfunden und nachgegeben hatte, es verlangte ihn zu erfahren, wie es um seines Vaters Seele stehe. Da berief der Landgraf einen Meister der schwarzen Kunst, und dieser offenbarte ihm, daß seines Vaters Seele im Fegefeuer Pein leide in dem Grunde hinter der Wartburg unter dem hintersten Thurme. Sonach verlegte die alte Sage den Fegefeuerort unmittelbar in die Nähe der Wartburg, und just seitab von der hintern Seite derselben zieht sich der grüne Grund, welcher noch heute das Hellthal heißt, hinab bis an die sogenannten Thränenteiche. Bei vielen bedeutenden Burgen aber findet sich die schaurigste Stelle hinter dem schroffsten Mauerabhang „die Hölle“ geheißen, so unter andern beim Kynast. Im Mittelalter schrieb man niemals Hölle, sondern stets Helle, hergeleitet vom Begriffe eines flammenden Feuers, und ebenso war der Begriff vom letztern und dem der Hölle identisch, daher hatte der Teufel allerlei damit zusammenhängende Namen, als Hellebock, Helljäger, Hellemohr, Hellrabe, Helledrache, Hellrüde (Höllenhund), Hellewolf, Hellewirth, Hellewurm u. a.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/214&oldid=- (Version vom 1.8.2018)