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von der noch einige Trümmerreste vorhanden sind. Von dort geht ein noch gut erhaltener gepflasterter Weg durch den Wald nach dem ehemaligen Kloster „Weissenborn“ bei Thal. An alle den Stellen, wo andere Pfade diesen Steinweg kreuzen, ist es nicht geheuer; es spuken da Mönche, Leichenzüge, Hunde theils schweigend, theils aber auch mit Lärm durch die Lüfte brausend, und mit furchtbarem Stimmengetöne. Auf der Klosterwiese zeigt sich nicht selten eine weiße Jungfer, hauptsächlich erscheint sie Bräuten, und winkt ihnen, näher zu kommen, um einen Schatz zu heben. An einem goldenen Sonntag pflückte eine Frau aus Ruhla auf der Klosterwiese eine prächtige Blume, und legte diese in ihren Schoos. Als sie dieselbe wieder erfaßte, war ein rostiger Schlüssel aus der Blume geworden, und der Frau gegenüber zeigte sich ein altes Gewölbe mit einer Thüre. Diese würde der Schlüssel erschlossen haben, aber die glückliche Finderin, die ein Goldsonntagskind war, war zu zaghaft. Der Schlüssel blieb jedoch lange in ihrer Familie, dann kam er nach Eisenach, dann in meine Hand. Er ist von Eisen und hat einen doppelten Kamm. – Einmal sahen drei Bursche am Dreifaltigkeitssonntage mitten auf der Klosterwiese in der Mittagsstunde und im hellen Sonnenschein einen schön geschmückten Altar, darauf Crucifix, Monstranz, goldene Abendmahlskelche und silberne Altarleuchter, darauf halbverbrannte Wachskerzen. Sie riefen einige begegnende Freunde laut an, dorthin zu blicken, aber in demselben Augenblicke verschwand alles. Auf oder an der Klosterwiese entspringt ein klarer Quell, der „Klosterborn,“ auch der „Glockenborn“ genannt, an ihm hat schon mehr als einer die Wunderblume blühend gesehen, aber auch und zwar gewöhnlich Nachmittag um

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/233&oldid=- (Version vom 1.8.2018)