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nächsten Nacht bei sich. Die Großmutter kam gleichfalls zu ihrer gewohnten Zeit und nahm den Platz auf der Ofenbank am Wechsel ein. Mit der wohlbedachten Frage auf der Zunge ging der junge Hausbesitzer dreist auf sie zu. Da nieste die vor ihm Sitzende 3 Mal. „Gott helf euch, Großmutter!“ rief er ihr zu. – „Ach! darauf habe ich schon lange gewartet, großen Dank, mein gutes Kind!“ war die Antwort. Sie ging sogleich und ließ sich niemals wieder sehen.




286.
Die Beschwörung der Toden.

Vor Zeiten lebte in Eßbach ein Mann, Hannikel genannt, der die Toden zitiren konnte, und sich in einen frevelhaften Verkehr mit ihnen eingelassen hatte, um durch sie Diebstähle zu entdecken oder zu erforschen, was zukünftig sich ereignen werde. Wenn er etwas dergleichen erfahren wollte, nahm er die Hacke der Todengräber, womit die Gräber gemacht worden waren und ging, ohne daß jemand davon wußte, zwischen 11 und 12 Uhr des Nachts, durch den Gottesacker hin zur Kirche. Dort hackte er 3 Kreuze in die Kirchthüre. Dann stellte er sich auf das Grab eines ihm bekannt gewesenen Verstorbenen, und rief denselben 3 Mal mit Namen. Der dadurch erweckte Tode fragte nun nach Hannikels Begehr und entdeckte ihm alles, was er wissen wollte, mit dem Zusatze: „Von nun an lasse mich aber in Ruhe.“ Der Beschwörer durfte kein Wort hierauf mehr sprechen, und mußte, ohne sich umzusehn, die Stätte verlassen, sonst würden die Toden,

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/157&oldid=- (Version vom 1.8.2018)