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Perchtha, die Heimchenkönigin.

In der Gegend von Bucha und Wilhelmsdorf zwischen Ranis und der Saale lagen einst zwei stattliche Dörfer, Cosdorf und Rödern, bewohnt von reichen Bauern, deren Flurensegen ein ungewöhnlicher war. Selbst die steilen Höhen am rechten Ufer des hier melancholisch rinnenden Saalstroms zeigten gute Bodenergiebigkeit. Das machte, daß die ganze Gegend von Heimchen bevölkert wir, einem friedlichen und meist harmlosen Zwergengeschlechte, das öfters Theil nahm an der Menschen Arbeit und Freude, Last und Lust, und sich stets hülfreich zeigte. Die Heimchen hütheten meist ungesehen Vieh und Feld, wachten über die Kinder, wenn die Aeltern fern waren, und erwiesen ihnen den Schutz guter Geister. Bisweilen ließen sie sich auch sehen, zeigten sich als freundliche, kindlich heitere, neckische Wesen, mit nur einigen Seltsamkeiten in ihrer äußern Erscheinung, und lebten mit den Menschen in unbefangener Vertraulichkeit. So blieb es lange, doch nicht immer in den Dörfern Cosdorf und Rödern. Die Heimchen hatten eine Königin, Perchtha, die ward geschildert als eine hohe und schöne Frau, mild und liebreich, wie ihr Völklein, der geschah alles zu Liebe, und auf ihr Geheiß waren die Heimchen auch für die Menschen so hülfreich und thätig. Einst aber kam zu den Bewohnern ein ernster Mann aus der Ferne daher, der niemals lachte, der lehrte dem Volke einen neuen Glauben, und sagte: Perchtha sei eine Teufelin, und ihr Völklein das seien die Seelen der Kinder, die ungetauft gestorben wären, und deshalb nach dem Tode nie die

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/189&oldid=- (Version vom 1.8.2018)