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flog, und erst beim Schlusse des Friedens, mit grünen Zweigen in den Schnäbeln zurückkehrte und wieder bleibende Wohnung daselbst nahm.




340.
Die Hange-Eiche.

Zwischen Saalfeld und Rudolstadt erhebt sich ein langgestreckter kahler Höhenzug, der einst mit herrlichen Eichen bestanden war. Besonders zeichnete sich eine mächtig große und uralte Eiche aus; und es war unter ihr in grauen Zeiten, vielleicht schon vor Einführung des Christenthums, eine Malstätte; an der Eiche hing eine starke Kette, und an die Kette hing man die Verurtheilten.

Im dreissigjährigen Kriege rastete ein Fähnlein Volk im Dorfe Reichenbach am Fuße des Culm, und zechte wacker. Als am andern Tage das heilige Abendmahl ausgetheilt werden sollte, fand sich, daß der goldene Kelch gestohlen war, und der Verdacht fiel alsbald auf die fremden Krieger. Der Schultheis eilte dem Fähnlein nach, holte es auf der mittlem Haide ein, und klagte dem Hauptmann, der unter der alten Hange-Eiche lagerte, den Verlust der Kirche. Der Hauptmann erzürnte sich über die Beschuldigung, wie über die Möglichkeit der That, und schwur, habe einer seiner Leute den Kelch, so solle er auf der Stelle henken, ohne Schwurgericht und Anwaltkniffe; habe aber keiner der Seinen den Becher, so müsse der Schulze an die Eiche. Im Tornister eines ruhig schlafenden Soldaten fand sich der Kelch. Dieser hatte die That nicht verübt, ein anderer hatte schnell den

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/209&oldid=- (Version vom 1.8.2018)