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sei. Und in des Mannes Garten war es viel, viel schöner, wie in der Braut ihrem Garten, prächtige Blumen, herrliche Früchte, singende Vögel waren darin, und er erweiterte sich immer mehr, je länger sie in demselben an der Seite des Mannes wandelte, in den allerbesten, ihr Herz wunderbar erhebenden und belebenden Gesprächen. Da hörte die Braut es zusammenschlagen, und ging nun zwar traurig und ernst, aber doch gefaßteren Gemüthes vor nach dem Hause, um mit dem ihrer harrenden Bräutigam und der ganzen Verwandtschaft nach der Kirche zu ziehen. Wie sie aber in das Haus trat, erblickte sie ganz andere Leute, und von Aeltern und Geschwistern, von Bräutigam und Verwandten keine Seele, und die Leute schauten sie groß an in ihrem Putz, der diesen schrecklich altmodisch vorkam. – Niemand kannte sie und sie kannte niemand. Man brachte sie, die Wildfremde und scheinbar Geistesverwirrte, zum Pfarrer, der schlug im Kirchenbuche nach und fand, daß vor hundert Jahren eine Braut das Hochzeithaus kurz vor der Trauung verlassen habe, und nicht zurückgekehrt, auch nirgend zu finden gewesen sei. Da sehnte sich die alte Braut zurück in den friedlichen Garten des Paradieses, darin sie mit dem Bräutigam reiner Seelen, Jesus Christus, gelustwandelt war, aller Erdenschmerzen überhoben, und ging auch noch desselben Tages ein in das himmlische Friedensreich.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)