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hatte, fragte man einen Blinden, wie der Ort heißen solle. Diesem lag wenig oder nichts am Namengeben eines Ortes, den er nicht zu schauen vermochte, und er ermiederte seufzend im Dialekte der Gegend : Ach – Kön’ ig seh! (Könnt’ ich sehen!) Und so sei die Stadt geheißen worden.




354.
Vom unweisen Rathe zu Königsee.

Von Alters her war zu Königsee in der Fastnachtzeit der Brauch, einen Narrenrath zu erwählen, wie noch heute geschieht in der Stadt Köln am Rhein und an andern Orten. Dieß thaten die jungen Bursche zu Königsee ebenfalls, nannten diese Fastnachtsobrigkeit ihren unweisen Rath und trugen ihm allerlei ungeschickte und schimpfliche Händel vor, die das Jahr über verlaufen, sei es in Liebe oder Trunk etc. Der unweise Rath entschied sich immer dahin, daß er denen, die es traf, hohe Strafe auferlegte, etliche Tonnen Goldes u. dgl., und sich hernach doch um ein Weniges, etwa mit einer Abfindung zu einem guten Trunk genügen ließ. Doch hatte der Ort auch einen weisen Rath, der lobiglich das Regiment führte, und besser als mancher andere, dessen Rath jahraus jahrein unweise ist, und in dem die Fleischer, Bäcker und Müller das Heft des städtischen Regiments in Händen haben und handhaben, daß den guten Bürgern die Augen übergehen.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/221&oldid=- (Version vom 1.8.2018)