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Von Paulinzelle.

In einem stillen Seitenthale der „Rinne“, zwischen Schwarzburg und dem Singerberge, liegt friedlich der Klosterort Paulinzelle und dicht daneben die schönste Kirchentrümmer Thüringens. Aus fernen Landen kam einst die fromme Tochter eines Grafen Moricho, welcher Truchses Kaiser Heinrich IV. war, nach Thüringen, um den Grafen Sizzo, der im Längwitz-Gau gebot, und zugleich ein Graf von Kevernburg und Schwarzburg war, zu besuchen. Nur von einer Zofe und einem Diener begleitet, verirrte sich Pauline in den weiten und wilden Forsten. Der Diener wurde auf Kundschaft ausgesendet, und kehrte nicht zurück, doch fand Pauline mit ihrer Dienerin in einer Köhlerhütte ein Nachtlager. Beide Jungfrauen hatten in dieser Nacht einen und denselben Traum, nämlich daß sie vor einem Altare in diesem Thalgrunde beteten. Am andern Morgen zogen beide weiter, doch gelobte Pauline, in dieser Einöde eine Zelle zu erbauen. Sie kamen in ein geringes Dörflein, das aufwärts nach dem Walde zu lag, und „Fischerau“ hieß, weil nur die Hütten einiger armen Fischerfamilien dasselbe bildeten. Pauline erfüllte ihr Gelübde, Graf Sizzo schenkte ihr die Ländereien jener Gegend, und so wurde die „Paulinen-Zelle“ begründet, welche aber nur so hieß, und keine Zelle, sondern eine herrliche Abtei wurde, erst ein Frauen- dann auch ein Mönchskloster. Ueberaus prachtvoll wurde die Kirche erbaut, und Pauline selbst leitete und beaufsichtigte den Bau, indem sie auf dem nahen Kienberge zu diesem Zwecke für sich ein Wohnhaus hatte aufführen lassen. Jeden Abend kam die Gräfin und trug Geld in

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/225&oldid=- (Version vom 1.8.2018)