Seite:Ludwig Bechstein - Thüringer Sagenbuch - Zweiter Band.pdf/232

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

heißt. Von dieser Burg sind gegenwärtig kaum noch einige ungefügte Steine wahrzunehmen.

Auf seinem Zuge nach Thüringen kam Winfried über die steinige und rauhe Hochfläche, da, wo jetzt Treppendorf liegt, um in das schöne Saalthal hinabzusteigen. Einen ganzen Tag lang hatte er keinen Menschen und keine menschliche Wohnung angetroffen; mit der äußersten Mühe hatte er sich durch das dichte Fichten- und Wachholdergesträuch hindurchgearbeitet, ringsum nach einer Quelle spähend. Aber in dieser Wildniß fand sich nirgend ein Bach, nirgend eine Quelle, gierig hatte der lechzende Boden jeden Tropfen Wassers verschlungen, der vom Himmel auf ihn herabgefallen war.

Da endlich begrüßte ein enges Wiesenthal mitten im üppigen Föhrenwalde den heiligen Wanderer, und durch die düstern Waldhallen erschallten kräftige Hiebe eines Beiles. Aber auch hier leider nur Spuren eines versiegten Wassers. Die Begleiter Winfrieds murrten und schalten, aber der fromme Mann richtete ein brünstiges Gebet zum Herrn, der die Lilien auf dem Felde ernährt. Gehet hin und forschet bei den Männern, die da Holz fällen, wo wir eine Quelle finden! Die Diener gingen und kamen nur um so trauriger zurück. Herr, noch eine Stunde Wegs haben wir zu wandern, da erst werden wir ein Bächlein antreffen. Aber ein guter Mann hat uns den letzten Trunk aus seinem Horne geboten, wir haben ihn für Dich aufbewahrt.

Diese entsagende Liebe der Seinigen ließ Bonifacius frommes Gemüth nicht ungerührt. Freundlich forderte er von dem mitgekommenen Bewohner des Thales das Trinkhorn, und den Blick nach oben gewendet, goß er, ohne

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/232&oldid=- (Version vom 1.8.2018)