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man die Nähe der stets unsichtbaren Zwerge vermuthe, mit Taruszweigen nach ihnen schlagen, jeder Zwerg, der getroffen werde, würde dann augenblicklich sichtbar. Auch sei den Zwergen die Form des Kreuzes verhaßt,[1] und wenn man am goldenen Sonntag Eibenbüsche kreuzweise über ihre Wege lege, so beschritten sie letztere nimmer mehr wieder. Der Wirth befolgte den Rath, theilte ihn weiter mit, und am nächsten Trinitatissonntag stieg die halbe Bevölkerung des Dorfes Angelrode hinauf in die Kammerlöcher, brach dort Eibenzweige ab, und steckte sie kreuzweis an die Ställe, in denen die Zwerge das Vieh behext, und in die Keller, aus denen sie allerlei geholt. Darauf wanderte das neckische Zwergvölkchen aus. In einer Nacht hörte man vom Kirchenholz herab, durch das Dorf und die jenseitigen sterilen Felsanhöhen hinauf nach Rippersrode zu ein anhaltendes trippeln und trappeln, als ziehe ein Heer von vielen tausend kleinen Leutchen vorüber, und ward ein leises weinen und schluchzen dabei vernommen. Nimmermehr kamen sie wieder. Von der Zeit an wurde es Brauch zu Angelrode, daß alljährlich am Trinitatissonntage Alt und Jung hinauf auf den Weissenberg und in die Kammerlöcher ging, dort Taxuszweige brach, und sie kreuzweis in Keller, Küchen, Stuben und Ställe steckte. Und obschon der Aberglaube, daß damit den Zwergen und Hexereien gewehrt werde, entschwunden ist, so ist doch der Brauch geblieben, und namentlich säumt des Dorfes fröhliche Jugend nicht, am genannten

  1. Dieß ist ein eigenthümlicher Zug der Erdzwerge gegenüber den Moosleuten, welche das Kreuz lieben, und nur auf mit Kreuzen bezeichneten Holzstämmen Schutz vor dem sie verfolgenden wilden Jäger finden.
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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/296&oldid=- (Version vom 16.5.2018)