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Treiben verdirbt alle Poesie, und ist der Welt völlig unnütz.

Die Sage lautet: Ludwig (andere nennen ihn Ernst), Graf von Gleichen, nahm Theil an dem Kreuzzuge, dem sich Ludwig der Heilige, Landgraf von Thüringen, unter dem Banner Kaiser Friedrich II. angeschlossen hatte. Graf Ludwig war am Thüringer Landgrafenhofe ritterlich erzogen worden, und soll mit einer Gräfin von Orlamünde vermählt gewesen sein, die ihm zwei Kinder geboren. Nachdem Landgraf Ludwig seinen frommen Eifer mit dem Tode gebüßt, folgte Graf Ludwig dem Kaiser nach Accon, und blieb zum Schutze der Stadt Ptolemais zurück, nachdem der Kaiser sich bereits zur Rückkehr eingeschifft hatte. Bei einem Ausfalle oder Streifzuge gegen die Ptolemais umlagernden Sarazenen gerieth der deutsche Graf in die Gefangenschaft der Araber, wurde an den Sultan Aegyptens verkauft und nach Alkair gebracht. Dort mußte der Graf harte Sclavenarbeit verrichten, und schmachtete neun Jahre in der Gefangenschaft, bis die Tochter des Sultans, welcher Melech-Sala hieß, das ist König des Heiles oder Friedens, lebhaft von ihm eingenommen wurde, beim ergehen im Garten ihm aufmunternd begegnete, und ihm endlich aus großer Liebe antrug, mit ihm zu entfliehen, wenn er sie zum Weibe nehmen wolle. Graf Ludwig von Gleichen war aufrichtig genug, der schönen Sarazenin seinen Stand und seine Herkunft zu entdecken, und ihr zu sagen, daß er bereits in seiner fernen Heimath eine Frau und zwei Kinder habe. Daran fand nun die sarazenische Jungfrau gar keinen Anstoß, da der muhamedanische Glaube jedem Manne gestattet, so viele Frauen zu nehmen, als er ernähren kann. Und die Liebe der Jungfrau, die Hoffnung

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/306&oldid=- (Version vom 1.8.2018)