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auf Befreiung und vielleicht die eigene Neigung bezwangen den Grafen, und er gab endlich der Sultanstochter das Versprechen, sich mit ihr ehelich zu verbinden, wenn sie ihm Freiheit verschaffen und ihm folgen wolle. Die Liebe der Jungfrau wußte alle Schwierigkeiten, die dem Fluchtplane sich entgegen stellten, zu überwinden, und mit ihren besten Schätzen versehen, entflohen sie auf einem Schiffe, und kamen nach sechswöchentlicher Fahrt zu Venedig an. In Venedig fand der Graf seinen liebsten und vertrautesten Diener, der ihn in allen damals bekannten drei Welttheilen gesucht hatte, und erfuhr von ihm, daß daheim noch alles gut stehe, und seine Gemahlin nebst seinem Kinderpaare noch lebe. Auf diese Nachricht reiste Graf Ludwig ohne Verzug nach Rom, allwo Gregor IX., den man den großen nannte, auf dem päpstlichen Stuhle saß, und theilte dem Papst sein ganzes Schicksal und alle seine Erlebnisse mit. Der Papst begnadigte den Grafen mit stattlichen Gaben, heiligte die sarazenische Jungfrau durch das Sakrament der Taufe, und gab dem Grafen kräftige Empfehlungsbriefe an den Kaiser, worauf derselbe mit den Seinen von Rom aus durch Italien zurück und über die Alpen durch Bayern und Franken den nächsten Weg nach Thüringen einschlug, und als er noch zwei Tagereisen vom Schloß Gleichen entfernt war, reiste er der Sarazenin voraus, kam zu Weib und Kindern und wurde auf das freudigste von seiner Gemahlin wiedererkannt und willkommen geheißen. Der Graf theilte nun seiner Hausfrau alles mit, was und wie es sich begeben, und daß er ohne die Hülfe der Sarazenenjungfrau aus königlichem Stamme nimmermehr die Seinen und sein Land würde wiedergesehen haben, und bewegte sein Weib

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/307&oldid=- (Version vom 1.8.2018)