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zu Dank und Liebe gegen die Fremde. Wie diese letztere sich nun Burg Gleichen näherte, zog der Graf mit seiner Gemahlin und seinen zahlreichen Freunden, die von allen Seiten herbeigeströmt waren, ihn glückwünschend wieder zu begrüßen, ihr mit großem Festgepränge entgegen, holte sie feierlich ein und führte sie wie in einem Triumphe in die Burg. Die Stätte der ersten Begegnung am Bergesfuße, an welchem beide Frauen einander schwesterlich umarmten und küßten, wurde alsbald „Freudenthal“ genannt, und der längst verwahrloste, jetzt schnell hergestellte Weg zur Burg hinan hieß fortan „der Türkenweg“. Jederzeit hat die Gräfin von Gleichen die Sarazenin als ihres geliebten Herrn Erretterin geehrt und geliebt, und letztere hat diese Liebe durch Demuth und Freundlichkeit vergolten. Niemals ist erhört worden, daß irgend ein Mißverstand oder eine Klage zwischen diesen beiden Gemahlinnen des Grafen entstanden, sondern jede hat ihren Herrn in Einig- und Freundlichkeit allezeit lieb und werth gehabt. Die Sarazenin war mit hoher Schönheit geschmückt, aber es blieben ihr Kinder versagt, um so mehr liebte sie die Kinder der deutschen Gräfin, und trug für deren Wohlergehen die fleißigste Sorge. Sie war ein Muster aller Frömmigkeit, aller Würde, aller Demuth, aller Holdseligkeit und Freundlichkeit. In ziemlich hohen Jahren starb sie und wurde im St. Petri-Stift zu Erfurt feierlich beigesetzt. Zwei Monate nach ihr schied auch die deutsche Gräfin, welche ihrem Gemahl noch drei Kinder geschenkt hatte, aus dem irdischen Leben, und wurde ihrer vorangegangenen schwesterlichen Freundin zugesellt. Der Graf selbst verschied im 60. Lebensjahre, und seine Kinder, zwei Söhne und drei Töchter, ließen ihn zwischen die beiden Frauen bestatten,

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/308&oldid=- (Version vom 1.8.2018)