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Sage: Ein junger Patricier, des Namens Wolfram, beging ein großes Verbrechen, das gegen die Kirchenzucht verstieß, und sogar nach Rom berichtet werden mußte, damit der Papst selbst das Urtheil des Sündigen spreche. Dieses Urtheil lautete dahin, Wolfram solle ein ganzes Jahr lang täglich in jeder Hand einen Leuchter mit brennender Kerze haltend dem Hochaltar gegenüber treten, so lange die Messe daure. Zwar unterzog sich der Patricier dieser harten Buße, aber die Schmach einer täglichen Kirchenstrafe und die Last der Leuchter drückten ihn zu Boden; er wurde so schwach, daß er sich nicht mehr aufrecht halten konnte. Und so wurden die Fürbitten nicht gespart, ihn von der Buße zu entlasten, welches auch geschah, doch mußte er das metallene Bild anfertigen lassen, und hat dann seine Tage in einem strengen Büßerorden als Mönch beschlossen.




433.
Doctor Faust in Erfurt.

Zu einer Zeit hat, wie auch das Volksbuch vom deutschen Magus Doctor Faust verkündet, und wie andere Zeugnisse darthun, dieser berühmte und zugleich berüchtigte Mann in Erfurt gelebt. Er wohnte in der Michelsgasse neben dem großen Collegium, und las als ein gelehrter Professor, mit Erlaubniß des academischen Senates, im großen Hörsaale des Collegiumsgebändes über griechische Dichter, namentlich erklärte er seinen Zuhörern, den Studenten, den Homer, und beschrieb ihnen die Heroengestalten

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/317&oldid=- (Version vom 1.8.2018)