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Der Jägerstein.

Eine Strecke unter den Teufelskreisen auf dem Schneekopf, an denen es niemals geheuer ist, und wo es die Reisenden schon oft geneckt, irre und in bodenlose Sümpfe geführt hat, steht ein Denkstein mit einer alten jetzt kaum noch lesbaren Inschrift zum Gedächtniß einer Unglücksthat, welche die Sage des Volks zu einer zauberischen Verblendung umgewandelt hat. Ihr zufolge lebte zu Gräfenrode, am jenseitigen Fuße des Schneekopfs, nach Arnstadt zu, ein Förster, der hatte einen Jägerburschen, mit welchem er in Unfrieden lebte, und den er daher auf mancherlei Weise tückte und ärgerte. So gab er ihm, der noch dazu sein Vetter war, den Auftrag, einen Feisthirsch zu schießen, der seinen Stand im Schneekopfreviere hatte, und dort herum wechselte und sich sehen ließ, das war ein prächtiger Hirsch von sechzehn Enden oder noch darüber. Aber der Jägerbursche, der Caspar hieß, vermochte nie den Hirsch zu schießen, obschon er denselben oft ganz nahe sah und schußgerecht vor sich hatte; entweder versagte sein Gewehr oder der Schuß ging fehl, und der Hirsch ging gemachsam seiner Wege, sah sich auch wohl noch einmal nach dem Jäger um, und machte ihm mit dem stattlichen Geweih eine Reverenz. Kam nun der Caspar Abends nach Hause, und hatte den Hirsch nicht geschossen, so regnete es Spott- und Stichel- und Stachelreden – was für ein geschickter und jagdgerechter Schütze er sei, und die Hirsche würden ihm demnächst eine Dankadresse dafür überreichen, daß er sie so menschen- und hirschefreundlich zugleich behandle, und sie schone, und ob vielleicht seine

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/34&oldid=- (Version vom 1.8.2018)