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das Weiblein, und bald darauf nahm das Volk der Zwerge in der Umgegend von Naila seinen Abschied. Ob das Weiblein das Tuch geholt, ob dem Bauer ein Dank geworden, meldet die Sage nicht.




183.
Der lange Mann.

In der Marktgasse zu Hof hat sich vor Zeiten bei nächtlicher Weile ein gewaltig großer und langer Mann sehen lassen, kohlenschwarz von Farbe, der schritt so gespreizt durch die Gassen, daß die Leute unter seinen Beinen durch gehen konnten, und reckte den Hals so lang, daß er den Leuten, die in den höchsten Stockwerken wohnten, in die Fenster sehen konnte. Eines Abends schritt eine Frau durch die Marktgasse, welche Walburg Widmännin hieß, und sah mit Schrecken den langen Mann in der Gasse stehen. Sie hatte Eile, er schien keine zu haben, folglich faßte sie sich ein Herz, und schlüpfte, ein Kreuz schlagend, unter den Beinen des langen Mannes durch. Kaum war die Frau darunter weg, so schlug der lange Mann seine langen Beine zusammen, daß es einen schallenden Klapp that, wie von starken Knochen, und dann ein Gerassel und Geprassel, als ob ein Riesenskelett zusammen breche. Gleich den nächsten Tag kam die Pest nach Hof, und verbreitete sich von da nach Oelsnitz, und nach Plauen und von da aus über das ganze Voigtland, das durch sie in furchtbarer Weise verheert und entvölkert wurde, so daß noch zahlreiche örtliche Sagen von ihr sprechen.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/52&oldid=- (Version vom 1.8.2018)