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herunterstürzte. Glücklicherweise verlor er mit dem Gleichgewicht nicht auch die Besinnung, vielmehr besann er sich im Fallen auf seine Rettung, und hieb mit gewaltiger Kraft sein Beil, das er noch in der Hand behalten, so fest in einen Balken, daß er selbst daran hängen blieb und Zeit gewann, mit den Füßen sich anzuklammern. Keiner brachte das Beil wieder aus dem Balken und so blieb es als ein Wahrzeichen darin, als nachher das Haus vollends fertig war. Jedem Fremden wurde es gezeigt, und die Zimmerleute waren stolz auf diese Kraft und Geistesgegenwart ihres Kameraden. Lange Jahre war das Beil zu sehen, bis ein unglücklicher Brand Reichenbach heimsuchte, und auch jenes Haus sammt dem Beile des Zimmergesellen aufzehrte.




204.
Jagdlohn.

Vor etwa achtzig Jahren ging ein Mann, Namens Rohn, aus Untergeisendorf des Nachts zur Geisterstunde von Waltersdorf, wo er beim Tanze war, nach Hause. Als er nun in dem, zwischen Untergeisendorf und Waltersdorf auf der Höhe gelegenen, sogenannten Hohenholze hindurchging, kam der wilde Jäger und jagte vorüber. Rohn hatte auf dem Tanz getrunken, war lustig und that auch einen Jagdschrei; da fühlte er sich auf einmal mit fortgerissen, ohne daß er Widerstand zu leisten vermochte, und mußte mit laufen, bis die Stunde vorüber war, und der Spuk sich verlor. Ein Stück faules Fleisch, das ihm vor die Füße geworfen wurde, war die Beute der gespenstigen Nachtjagd, über welcher dem Waltersdorfer hören und sehen vergangen war.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/79&oldid=- (Version vom 12.12.2022)