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Endlich machten die Bürger einen verzweifelten Ausfall vor das Burgthor nach dem Hochgericht zu, wo sich die Feinde verschanzt. Da gab es der Todten viel auf beiden Seiten, aber die Feinde hielten hartnäckig Stand, und viele der Lübschen kamen mit blutigen Köpfen in die Burg zurück. Wie das die Weiber sahen, wurden sie toll, nahmen aus der Jakobikirche eine Fahne, bewaffneten sich mit Spießen, Beilen, Zangen und Messern und was einer jeden zur Hand kam, und stürzten in der Raserei auf die Feinde los. Diese aber meinten nicht anders, als käme ein neues Kriegsvolk aus der Stadt; es entfiel ihnen der Muth; sie ließen ihr Lager im Stich, und flohen in Hast auf die Schiffe und davon. Da machten die Lübschen große Beute, und fanden unter andern herrlichen Schätzen auch den ganz von lauterem Gold gegossenen Abgott Temiel, den die Wenden hoch verehrten. Was aus diesem theuren güldnen Götzen endlich geworden, weiß ich nicht; die Fahne, welche die Weiber geführt, stand bis 1619 bei der Kanzel zu S. Jakobi; als aber damals die Kirche mit Besemen gesäubert wurde, ist sie weggekommen, was in Wahrheit zu beklagen steht. Der Ort jedoch, wo die Weiber ihre Kriegslust kühlten, heißt noch jetzt de Neilâd (Nählade).

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Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)