Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben 2. Theil | |
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geirrt habe. Es existirt unter den Insulanern ein regelmäßiges System der Polygamie; aber von einer ganz außergewöhnlichen Art, – nämlich einer Mehrheit der Gatten statt der Weiber, und diese einzige Thatsache erzählt mehr, als Bände sagen könnten, von dem freundlichen Charakter der männlichen Bevölkerung. Wie könnte sonst nur einen einzigen Tag eine solche Einrichtung bestehen? Man denke sich eine Revolution in einem türkischen Serail und den Harem zur Wohnung von bärtigen Männern gemacht, – oder irgend ein schönes Weib in unserm eignen Lande, verzweifelt bei dem Anblicke, daß ihre zahlreichen Liebhaber sich aus Eifersucht über die ungleiche Vertheilung ihrer Gunstbezeugungen gegenseitig umbrächten! Der Himmel bewahre uns vor solch einem Zustande! Wir sind kaum sanft und liebenswürdig genug, um uns demselben zu unterwerfen.
Ich war nicht im Stande, ausfindig zu machen, welche besondere Ceremonie bei dem Abschluß eines Ehebündnisses vollzogen wurde, bin aber geneigt anzunehmen, daß sie sehr einfacher Art war. Vielleicht folgte dem bloßen „Anhalten“, wie es bei uns heißt, das Band der Ehe unmittelbar. Jedenfalls habe ich Ursache genug zu glauben, daß lange Liebeleien im Thale von Typie unbekannt sind.
Die Männer sind viel zahlreicher als die Frauen, dies ist auch auf vielen andern Inseln von Polynesien der Fall, gerade umgekehrt wie in den meisten civilisirten Ländern.
Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben, 2. Theil. Gustav Mayer, Leipzig 1847, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Melville-Vier_Monate_auf_den_Marquesas-Inseln._Teil_2.djvu/128&oldid=- (Version vom 1.8.2018)