Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben 2. Theil | |
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Die Mädchen werden zuerst in sehr frühem Alter von irgend einem Jungen in dem Hause, wo sie wohnen, erbeten und gewöhnlich erhalten. Dies ist übrigens ein bloßes Spiel der Neigung, und es wird kein förmlicher Verlöbnißbund geschlossen. Wenn diese erste Liebe ein Wenig nachgelassen hat, stellt sich ein zweiter Liebhaber von reiferen Jahren ein, und führt dann sowol den Knaben, als das Mädchen nach seiner eigenen Wohnung. Dieser uneigennützige, edelmüthige Mensch heirathet nun das junge Paar, indem er Dämchen und Liebhaber zu gleicher Zeit nimmt und fortan leben alle Drei so einträchtig zusammen, wie die Täubchen. Mir sind wol Fälle vorgekommen, daß in der civilisirten Welt Männer unbedächtig ganze Familien mit ihren Frauen heirathen, aber ich hatte keine Idee, daß es irgend einen Ort gäbe, wo Leute noch einen Extra-Ehemann heiratheten. Untreue ist auf beiden Seiten sehr selten. Kein Mann hat mehr als ein Weib, und kein Weib von reiferen Jahren hat weniger als zwei Gatten, – bisweilen hat sie drei, aber solche Beispiele sind nicht häufig. Das eheliche Band, welcher Art es auch sein mag, scheint nicht unauflöslich, denn Trennungen kommen zuweilen vor; wenn aber solche stattfinden, machen sie keinen der Theile unglücklich und keine Streitigkeiten gehen ihnen voraus, aus dem einfachen Grunde, daß ein mißhandeltes Weib oder ein Ehemann unter dem Pantoffel nicht nöthig hat, eine hohe Abgabe zu zahlen, um eine Ehescheidungserlaubniß
Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben, 2. Theil. Gustav Mayer, Leipzig 1847, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Melville-Vier_Monate_auf_den_Marquesas-Inseln._Teil_2.djvu/129&oldid=- (Version vom 1.8.2018)