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Seite:Otto Herodes.djvu/026

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Für diesen ergibt sich danach, daß er, der die ganze Zeit des H. – allerdings nicht in streng chronologischer Abfolge – noch mitbehandelt hat, dem Könige freundlich gegenübergestanden hat, entsprechend dem Charakter des von ihm als Quelle benutzten Werkes des Nikolaos, freilich ohne sich hierdurch – doch wohl bestimmt durch die Benutzung von Werken, die H. nicht so günstig gesinnt waren (s. außer S. 80 Anm. auch noch S. 72 Anm.) – von der Kritik des königlichen Handelns abschrecken und zur Verwischung der Untaten bestimmen zu lassen. Er hat dem Josephus außer für das bellum auch bis zum Beginn des XV. Buches der antiquitates als die grundlegende Quelle für H. gedient. Von diesem an tritt er freilich zurück; dies zeigt uns außer den formalen Indicien – Verschwinden der Proömien und der Selbstzitate, Anwendung der chronologischen Anordnung anstatt der sachlichen in den entsprechenden Abschnitten des bellum – aufs deutlichste die Gesamtbeurteilung des Königs, die zu der des XIV. Buches in scharfem Gegensatze steht und die enkomiastische Färbung verliert. Für den Quellenwechsel zu Beginn des XV. Buches konnte man schließlich auch darauf hinweisen, daß hier ein schon am Schluß des XIV. Buches erzähltes Ereignis, die Hinrichtung des Königs Antigonos, noch einmal, nun aber in anderer Form berichtet wird. Daß der Anonymus vom XV. Buche an gar nicht mehr von Josephus benutzt worden [RE:10] sei, was z. B. Wachsmuth a. a. O. 445 annimmt, ist allerdings ein Irrtum. Denn einmal weisen uns die mitunter auch in diesen späteren Büchern auftretenden Spuren einer sachlichen Anordnung [1] auf ihn hin, mag man auch die Streitfrage der Benützung des bellum durch Josephus bei der Abfassung der antiquitates in positivem Sinne entscheiden (s. z. B. Drüner a. O. 51ff.), dann aber auch z. B. die Aufnahme der gerade vom Anonymus vertretenen Version vom frühzeitigen Konflikt zwischen H. und Mariamme (s. S. 10*), da diese Version in einer dem bellum gegenüber erweiterten Fassung geboten wird.

Neben dieser H. günstig gesinnten Mittelquelle ist noch eine andere anzunehmen, die einen entgegengesetzten Standpunkt vertreten hat. Der Verfasser dieser Quelle tritt uns ganz deutlich in [12] der großen Polemik gegen Nikolaos von Damaskos in Joseph. ant. Iud. XVI 183–187 entgegen, die allgemein als von Josephus selbst herrührend gefaßt wird, meines Erachtens freilich durchaus mit Unrecht. Es wird hier nämlich im Anschluß an die Erzählung von dem Beraubungsversuche des Grabes Davids durch H. (§ 179–182) gegen Nikolaos der Vorwurf erhoben, er habe dies absichtlich verschwiegen – πολλὰ δὲ καὶ τῶν ἐμφανῶς ἀδίκων ἀντισκευάζων καὶ μετὰ πάσης σπουδῆς ἐπικρυπτόμενος (§ 184). Gegen Schluß der Polemik heißt es dann (§ 186): ἐκείνῳ μὲν οὖν πολλὴν ἄν τις, ὡς ἔφην ἔχοι τὴν συγγνώμην, obwohl ein solcher Gedanke vorher bei Josephus nicht ausgesprochen ist. Will man nicht einen groben Irrtum des Josephus annehmen, was bei der Kürze des Abschnittes besonders unwahrscheinlich ist, so bleibt keine andere Erklärung, als daß sich hier Josephus wörtlich an eine Quelle angeschlossen hat (vgl. die vorher behandelten Selbstzitate), der man dann die polemischen Ausführungen in ihrer Gesamtheit zuzuteilen hätte. Diese Erklärung wird durch die an die Polemik sich direkt anschließende nähere Charakteristik des Verfassers dieser Polemik (§ 187) gesichert; denn interpretiert man diese genau, so kann der Verfasser Josephus nicht gewesen sein. Die antiquitates sind bekanntlich 93/4 n. Chr. erschienen und so gut wie im direktem Anschluß an sie die Selbstbiographie des Josephus, beide Werke zu einer Zeit, wo der König Agrippa II. bereits gestorben war[2]. Der Verfasser des § 187 behauptet nun, er achte πολλοὺς τῶν ἐγγόνων τῶν ἐκείνου (sc. H. I.) καὶ βασιλεύοντας, habe aber die Wahrheit höher als sie geschätzt und lege daher alle πράξεις H.s I. καθαρῶς καὶ δικαίως dar; die πολλοί seien jedoch darob erzürnt (das Schlußsätzchen des Abschnitts ist allerdings verderbt, doch erscheint der Sinn gesichert). Sieht man in dem Verfasser Josephus, so könnte man an und für sich an sein früheres Werk, das bellum, als den Stein des Anstoßes denken, aber Josephus hebt in seinen später als dieser Passus niedergeschriebenen Werken, in der vita und in seiner Schrift gegen Apion, ausdrücklich hervor, daß Agrippa II. und andere Herodianer schriftlich sein Werk gebilligt und günstig beurteilt hätten (§ 362ff.; bezw. § 51f.). Das Schlußsätzchen würde also zu diesen Angaben nicht recht stimmen. Ferner erwecken die Ausführungen durchaus den Eindruck, als ob die πολλοὶ – καὶ βασιλεύοντες zum mindesten zumeist noch am Leben seien; ein Blick auf die Genealogie des herodianischen Hauses zeigt aber für die Zeit der Abfassung der antiquitates


  1. So z. B. ant. Iud. XVI 142ff., ein Abschnitt, der aber direkt aus dem bellum (I 425) nicht entlehnt sein kann, weil er z. B. über Nikopolis mehr als dieses bietet; ebenso etwa XV 403–409, wo auch eine infolge sachlicher Anordnung an falscher chronologischer Stelle erwähnte Tatsache ausführlicher als im bellum (I 401) erzählt ist. Beachte ferner das im folgenden gelegentlich über sachlich geordnete Abschnitte des Josephus Bemerkte.
  2. Zuletzt Luther Josephus und Iustus von Tiberias, Halle 1910, 54ff.; freilich nicht alle von Luther angeführten Belege sind zwingend. Bei der grundlegenden Stelle ant. Iud. XVII 28, in der von dem Anfall der zuletzt Agrippa II. gehörenden Judenkolonie in Batanaia an die Römer die Rede ist (παρ’ ὧν (d. h. Agrippa I. und II.) Ῥωμαῖοι δεξάμενοι τὴν ἀρχὴν τοῦ μὲν ἐλευθέρου καὶ αὐτοὶ τηροῦσιν τὴν [RE:11] ἀξίωσιν κτλ.) ist übrigens, abgesehen von dem ganzen Tenor der Stelle, besonderes Gewicht auf παρ’ ὧν zu legen, wodurch Agrippa II. mit seinem toten Vater auf eine Stufe gestellt wird.
Empfohlene Zitierweise:
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/026&oldid=- (Version vom 23.8.2020)