Diese Tat eines schon kindischen Mutwillens, die einen ganz fremden Zug in das Bild des Königs bringen würde, ist ihm aber auch deswegen nicht zuzutrauen, weil er sich sonst gerade gehütet hat, das jüdische Bildergebot im jüdischen Lande zu übertreten. Er hat auf keiner seiner vielen Bauten Bilder angebracht, und als die Juden unter den im Theater zu Jerusalem errichteten kaiserlichen τρόπαια verborgene menschliche Figuren vermuteten, da hat er es sich angelegen sein lassen, sie umgehend über ihren Irrtum durch Vorführung der Konstruktion der τρόπαια aufzuklären (ant. Iud. XV 272. 276–279. Woelke Bonner Jahrb. CXX 126ff. hat sich in seiner τρόπαια-Abhandlung diese interessante Stelle entgehen lassen). Er hat es ferner wegen des Bilderverbots [RE:102] sorgsam vermieden, auf altjüdischem Gebiet Caesareen oder irgendwelche anderen Tempel zu erbauen (ant. Iud. XV 328f. und hierzu s. S. 68*) und hat bei dem Volke sogar den Eindruck zu erwecken versucht, als ob er anderswo derartige Bauten nur notgedrungen, den Anordnungen Roms gehorchend, errichte (ant. Iud. XV 330). Auf den Münzen, die er schlagen ließ, hat er im allgemeinen kein Menschen- oder Tierbild anbringen lassen; nur eine Münzgruppe zeigt das Bild eines Adlers (Madden Coins of the Jews 114). Als einen Zufall darf man das Zusammentreffen dieses Münztypus mit dem Adler des Tempels kaum ansehen, und die Annahme Th. Reinachs (Les monnaies juives 37, s. auch Rev. ét juiv. 1887, CXCVIII), daß die Münzen in die letzte Zeit des Königs gehören, wird man auch auf den Tempeladler übertragen dürfen. Es muß also darnach eine Zeit gegeben haben, in der H. anders wie vorher die Rücksichten auf das jüdische Gesetz und die Juden ganz aufgegeben hat; infolge seines Verhaltens bei der Eidesverweigerung der Pharisäer kann man aber für sie nur die allerletzten Jahre der Herrschaft in Anspruch nehmen (eine Vermutung über die genaue Zeit s. S. 143).
Ob sein Gesetz über die Versklavung von Juden ins Ausland, durch das er entgegen den Bestimmungen des jüdischen Gesetzes, das nur zeitweise Schuldknechtschaft in der Heimat gestattete, einen im griechisch-römischen Rechtsleben allgemein gültig gewordenen Rechtssatz auf die Juden übertrug, auch erst in diese späte Zeit gehört, ist kaum zu entscheiden (die Einordnung bei Josephus antiquitates in die Zeit um 20 v. Chr. würde die frühe Datierung noch nicht nötig machen; es handelt sich um einen kurzen sachlichen Abschnitt [XVI 1–5], an den dann das weitere durch die Formel ‚ἐν τούτῳ τῷ καιρῷ‘ [§ 6] angeknüpft wird). Sollte das Gesetz früher erlassen sein, so wird man es als absichtliche Brüskierung der Juden kaum fassen, sondern aus dem für Griechen und Römer selbstverständlichen Gefühl, dem Mitbürger die Demütigung der Sklavendienste im eigenen Lande zu ersparen, erklären dürfen.
Dagegen war es eine bewußte Verletzung des gesetzestreuen Judentums, wenn H. das Prinzip der Lebenslänglichkeit und Erblichkeit, das bisher mit dem hohenpriesterlichen Amte verbunden gewesen war, beseitigt und wiederholt den amtierenden Hohenpriester abgesetzt hat (s. ant. Iud. XV 39f. mit der Charakteristik des Vorgehens als ‚παράνομα ποιῶν‘; ferner XV 322. [106] XVII 78. 164). Sein erstes Durchbrechen des erblichen Prinzips sofort nach seinem Regierungsantritt mag immerhin noch entschuldbar erschienen sein, da die hasmonäische Hohepriesterfamilie keinen allen Anforderungen entsprechenden Kandidaten stellen konnte (s. S. 38), und sein Zurückgreifen auf den abgesetzten Ananel nach dem Tode des Aristobulos (ant. Iud. XV 56) konnte auch noch günstig gedeutet werden. Daß er jedoch in der Folgezeit zum mindesten drei Hohepriester abgesetzt hat (über den Ausgang Ananels wissen wir nichts), zeigte das rücksichtslose Hinwegsetzen über die geheiligte Tradition, das um so schlimmer wirken mußte, als es auf rein persönlichen Gründen oder politisch-weltlichen Motiven beruhte. Und da ist es wieder besonders beachtenswert, daß zwei von diesen Absetzungen in die [RE:103] beiden letzten Jahre des Königs gehören. Sollte man nicht auch dies als ein Anzeichen für seine Sinnesänderung in der letzten Zeit verwerten dürfen?
Irgendwelche weitere Gesetzesverletzungen scheint sich jedoch der König bei allen seinen Maßnahmen, Handlungen und Reden, die sich auf Verhältnisse seiner jüdischen Untertanen bezogen, nicht zu schulden haben kommen zu lassen (s. auch ant. Iud. XVI 365, wo er sich in seiner Anklagerede in Berytos ausdrücklich auf das jüdische Gesetz beruft; vgl. ferner XV 135ff. Die Reden sind selbstverständlich mehr oder weniger frei komponiert, aber die Grundsätze, nach denen dies geschehen ist, sind doch wohl zu verwerten). Und trotzdem ist ihm von jüdischer Seite gerade die starke Verletzung des Gesetzes zum Vorwurf gemacht worden (s. ant. Iud. XV 328 und 365, wo dies besonders klar zum Ausdruck kommt; ferner bell. Iud. I 649; ant. Iud. XV 40. XVII 151. Bei den Bemerkungen in ant. Iud. XV 266 und XVI 183 ist offenbar auch an andere gesetzlose Handlungen, als nur an die gegen das jüdische Gesetz gedacht); ist doch hierin einer der Gründe für die Abneigung und den Haß der Juden gegen ihn zu sehen. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich jedoch sehr einfach; denn H. hat sich bei seinen Handlungen, wenn es nicht seine jüdischen Untertanen anging, um das Gesetz nicht sonderlich bekümmert. Gerade das Bilderverbot hat er durch die Errichtung der Caesareen und anderer Tempel auf nicht jüdischem eigenen und fremden Gebiet, wobei er auch auf die Statuen besonderen Wert gelegt zu haben scheint (s. bell. Iud. I 414), immer wieder übertreten, und hat es ferner geduldet, daß ihm selbst im Tempel des Baalsamin bei Kanatha in der Batanaia von einem Privatmann eine Statue errichtet wurde (Dittenberger Syll. [or.] I 415; vgl. hierzu ant. Iud. XVI 158).
Welchen Sturm der Entrüstung muß es in allen gesetzestreuen Kreisen hervorgerufen haben, daß der jüdische König seine im J. 23 v. Chr. zur Erziehung nach Rom gesandten Söhne unter völliger Nichtachtung der levitischen Reinheitsgesetze (vgl. hierzu Schürer II⁴ 91ff.) in dem Hause eines Römers, des Asinius Pollio, Wohnung nehmen ließ (ant. Iud. XV 343. Etwa 15 Jahre später sind freilich Archelaos, Antipas und Philippos, als sie nach Rom geschickt wurden, allem Anschein nach bei einem Juden [die Textgestaltung Nieses dürfte wohl richtig
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/073&oldid=- (Version vom 1.8.2018)