Seite:Otto Herodes.djvu/081

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Die kurze Notiz bell. Iud. I 403 über die Gründung von Sebaste zeigt uns ferner, daß der König, wie nicht anders zu erwarten (man vgl. das bekannte Astynomengesetz von Pergamon, Dittenberger Syll. [or.] II 483), der von ihm neugeschaffenen πόλις zum mindesten das Stadtgrundgesetz, die πολιτεία, vielleicht aber auch ihr bürgerliches Gesetzbuch, den πολιτικὸς νόμος, gegeben hat, wozu die allgemeine Ausdrucksweise ‚ἐξαίρετον τοῖς ἐν αὐτῷ (sc. Sebaste) παρέσχεν (sc. H.) εὐνομίαν‘ gut passen würde[1]. Auch die Verfassung von Kaisareia mit ihrer ursprünglich vollen Gleichstellung des jüdischen und des ‚griechischen‘ Elements (bell. Iud. II 266. 284 ant. Iud. XX 173. 183) weist uns darauf hin, daß sie das eigenste Werk des Königs gewesen ist: gerade die Vorgänge in Kaisareia zur Zeit Neros (Schürer II⁴ 137) zeigen, daß die Städter von sich aus eine solche Verfassung nicht gewährt haben würden; dagegen paßt diese πολιτεία vortrefflich zu den allgemeinen Verwaltungsprinzipien des Königs (s. S. 158).

Es ist schließlich [RE:118] höchst wahrscheinlich – es würde dies ein weiteres Zeichen von der vollständigen Unterwerfung der πόλις unter den Willen des Königs sein –, daß H. ganz ebenso wie sein Sohn Antipas bei der Gründung von Tiberias verfahren ist (s. S. 183) und den Bewohnern der von ihm neugegründeten Städte, zumal sie ihm auch zu militärischen Zwecken dienen sollten, zum Teil direkt als Militärkolonien angelegt waren, den Zwang, in ihrer Stadt zu bleiben, aufgelegt hat, d. h. daß auch er der Lehre des Hellenismus von der ἰδία gehuldigt hat (s. Rostowzew a. a. O. 305ff.). Die bekannte Lukasstelle II 1ff. scheint mir zusammengehalten mit dem Vorgehen des Antipas sogar geeignet, die Gebundenheit an die Heimatsgemeinde als eine für das jüdische Gebiet auch zu H.s Zeit allgemein übliche Vorschrift wahrscheinlich zu machen, wie wir wohl überhaupt ein in den Grundzügen einheitliches Verhalten der Staatsgewalt gegen die alten und die neuen πόλεις annehmen dürfen, wenn auch selbstverständlich die Anwendung der Prinzipien mitunter milder, mitunter strenger gewesen sein wird.

Für die nicht griechisch konstituierten jüdischen Ortschaften des herodianischen Reiches darf man anders als wie für die griechischen nicht einmal eine auch nur irgendwie entwickelte kommunale Selbstverwaltung, die konkurrierend neben den vom König gesetzten Gewalten gestanden hätte, annehmen; sie haben höchstens nur schwache Ansätze [122] zu einer solchen besessen (gerade das von Schürer II⁴ 223ff. vorgelegte Material scheint mir diese Schlußfolgerung nahezulegen, wenn wir auch für die Zeit des H. besonders ungenügend unterrichtet sind; sehr bezeichnend scheint mir aber einmal das Vorgehen des Josephus als Statthalter von Galiläa zu sein – er setzt von sich aus die Ortsbehörden ein und ordnet ihr Verhältnis zur Provinzialbehörde [bell. Iud. II 570f.] – und ferner die Bezeichnungen für palästinische Ortschaften als κωμοπόλεις und μητροκωμίαι, Belege bei Schürer 227f. Wir haben hier offenbar Verhältnisse vor uns, zu denen die des ptolemäischen Ägyptens die beste Parallele liefern).

Trotz aller Unbeschränktheit ist aber auch der Macht des H. in seinem Staate, und zwar für einen Teil des Staatsgebietes, eine gewisse Grenze gesetzt gewesen, nicht in einer von Haus aus vorhandenen Institution des Staates, wohl aber seit dem J. 20 v. Chr. in einer Person, in der seines Bruders Pheroras, des Tetrarchen von Peräa. Er wird von Josephus als ‚δυνάμει καὶ κοινωνὸς τῆς βασιλείας‘ (ant. Iud. XV 195) gekennzeichnet, dem nur das Diadem gefehlt habe (bell. Iud. I 483). Ihn deswegen als offiziellen Mitregenten zu fassen, erscheint mir jedoch nicht angängig, da nach allem, was wir vom herodianischen Regiment wissen, Pheroras niemals eine, sei es auch der königlichen noch so sehr nachstehende Stellung eingenommen hat, die als analog der des Königs aufzufassen wäre, d.h. eine Stellung, die ihm irgendwelchen, und sei es auch nur nominellen Anteil an der Verwaltung des ganzen Reiches, eingeräumt hätte. Wenn Josephus ihm Anteilnahme an der Ausübung der Königsgewalt zuschreibt so beruht diese Charakterisierung nur auf der ihm verliehenen Tetrachie über Peräa, für die ihm eben alle Herrscherrechte des Königs zugestanden gewesen sein werden – so auch z. B. der Bezug aller [RE:119] Einkünfte (bell. Iud. I 483); nur in dem Fehlen des Diadems ist eine gewisse Unterordnung unter seinen königlichen Bruder, den man als den Oberherrn aufzufassen hat, zum Ausdruck gekommen. Es hat sich hier also unter H. I. auf den Wunsch Roms (s. S. 73f. und 139) ein ähnlicher Zustand herausgebildet, wie er bereits unter Hyrkanos II. durch die Ernennung H.s und Phasaels zu Tetrarchen (s. S. 24) in Erscheinung getreten war, und wie er nach dem letzten Testament des Königs von diesem für die Herrschaft seiner Söhne in Aussicht genommen worden ist (s. S. 149, 166 u. 170), und wie er uns ähnlich in den großen hellenistischen Reichen begegnet. Wir haben mithin hier einmal eine rechtliche Beschränkung des persönlichen Herrscherwillens. Tatsächlich wird sie aber kaum in Erscheinung getreten sein, da Pheroras bis kurz vor seinem Tode nicht in seiner Tetrarchie residiert hat, sondern sich stets in Jerusalem am königlichen Hoflager aufgehalten zu haben scheint, also wohl ganz unter dem Einfluß des Königs gehandelt haben dürfte.

Ebensowenig wie in Pheroras darf man in den beiden Mariammesöhnen, sowie sogar nicht in Antipatros offizielle Mitregenten des Königs sehen; ihnen sind zwar, wie schon bemerkt (s. S. 111) die Ehrenvorrechte der königlichen Stellung eingeräumt worden und Antipatros hat auch augenscheinlich großen Einfluß auf das Regiment ausgeübt; ein Rechtsanspruch auf dieses auf Grund bestimmter ihm verliehener Rechte hat aber, soweit

Empfohlene Zitierweise:
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/081&oldid=- (Version vom 1.8.2018)
  1. Schubarts Klio X 44ff. Auffassung des πολιτικὸς νόμος als Ausfluß der ψηφίσματα der Stadtgemeinden in Ägypten ist mir immer verfehlt erschienen; ich kann jetzt meine Gegengründe unterdrücken und einfach auf die Bemerkungen der Graeca Halensis, Dikaiomata 37ff. im Anschluß an den Pap. Halensis 1, 81ff. verweisen, die auch das schon von Kaerst a. a. O. verwertete Parallelmaterial aus anderen hellenistischen Reichen und auch richtig Wilcken Papyruskunde I 2 nr. 27, 17ff. heranziehen. Hierdurch erscheinen mir die nachträglich erschienenen Bemerkungen von Partsch Arch. f. Pap. V 455f., sowie die von Semeka Ptolem. Prozeßrecht I 139, 1 erledigt.