der Untertanen des Archelaos noch etwas anderes als Anklagegrund hinzugetreten, vielleicht durch jene ausgelöst worden sein. Als solcher Anklagegrund würde nun die Annahme, daß Archelaos seine Pflichten als römischer Vasallenfürst nicht genügend erfüllt, daß er den Geboten der römischen Regierung, die natürlich nicht allein die mehr oder weniger tyrannische Behandlung der Juden betrafen, entgegengehandelt hat, eine an sich befriedigende Lösung darstellen; man würde auch eine Stütze für diese Auffassung in den von Josephus allerdings nur auf die grausame Behandlung der Juden gemünzten Worte (ant. Iud. XVII 342): μάλιστα ἐπεὶ ἔγνωσαν (sc. die Juden) αὐτὸν (sc. Archelaos) παραβεβηκότα τὰς ἐντολὰς αὐτοῦ (sc. Augustus) κτλ. finden können.
Wir hätten also anzunehmen, daß auch über das Wohlverhalten des Herodes Antipas und seines Bruders Philippos ernste Bedenken in Rom aufgestiegen sind, daß darob auch gegen diese beiden die Anklage erhoben worden ist, daß sie sich aber, wenn auch unter Preisgabe des Bruders gerechtfertigt hätten und so in ihren Herrschaften von neuem bestätigt worden sind. (Möglicherweise darf man als einen wenn auch unklaren Hinweis auf alle diese Vorgänge die Worte bei Joseph. ant. Iud. XVIII 27 fassen, welche sich an die Erzählung von der Einziehung des Reiches des Archelaos anschließen: Ἡρώδης [sc. Antipas] δὲ καὶ Φίλιππος τετραρχίαν ἑκάτερος τὴν ἑαυτοῦ παρειληφότες καθίσταντο vgl. bell. Iud. II 167. Ich möchte auch noch auf ein koptisches apokryphes Evangelienfragment [s. Revillout Journ. asiat. X. Sér. V 443ff.] hinweisen, demzufolge Herodes Antipas seinen Bruder, den Tetrarchen Philippos, der hier fälschlich für H., den Mann der Herodias steht, bei Tiberius denunziert haben soll, worauf der Kaiser diesen zum Verlust all seines Besitzes verurteilt habe. Ob sich hierin vielleicht eine Erinnerung an das Vorgehen des Herodes Antipas gegen Archelaos wiederspiegelt?). Ob Herodes Antipas wirklich irgendwie schuldig gewesen ist, läßt sich leider ebensowenig ermitteln wie die spezielleren Gründe der Anklage gegen ihn.
Nach außen hat sich jedoch Herodes Antipas auf jeden Fall auch schon unter Augustus als der dem Kaiserhause ergebene Vasall erwiesen. So hat er die Ortschaft Bethramphtha in Peräa, welche bei dem großen jüdischen Aufstande im J. 4 v. Chr. [182] teilweise zerstört worden war, bei ihrer Wiederherstellung und ihrem Ausbau als Grenzfestung gegen die Araber nach der Gemahlin des Kaisers Livias genannt und sie später nach dem Tode des Augustus pflichtschuldigst entsprechend der Namensänderung der Kaiserin in Iulias umgetauft (Joseph. bell. II 59. 168; ant. Iud. XVII 277. XVIII 27 und bezüglich des Namens Schürer II⁴ 214f.). Da es sich hier um die Wiederherstellung eines zerstörten Ortes handelt, wird man diesen Bau ganz in den Beginn seiner Regierung setzen dürfen. In dieselbe Zeit dürfte dann auch der Wiederaufbau des in demselben großen Aufstande durch Varus niedergebrannten und entvölkerten Sepphoris in Galilaea fallen, das Antipas zugleich als Festung zur Sicherung der Grenzen Galiläas ausbaute, sich zu seiner Hauptstadt erkor und vielleicht in Kaiserstadt (Αὐτοκρατορίς) umtaufte (Joseph. bell. II 68; ant. Iud. XVII 289. XVIII 27. vita 37 und weiteres über den Ort bei Schürer II⁴ 210ff.).
In der Pracht, die er hierbei entfaltete, erwies sich der Tetrarch schon als der echte Sohn seines Vaters. Diese Bauten sind aber immerhin Nützlichkeitswerke, welche die dem Lande durch den großen Aufstand geschlagenen Wunden heilen und es nach außen sichern sollten; dagegen ist allein als Ausfluß seiner echt herodeischen Prachtliebe seine bedeutendste Schöpfung zu fassen, der Bau einer neuen Reichshauptstadt in der besten Gegend Galiläas, am See Genezareth, der Stadt Tiberias (über sie Schürer II⁴ 216ff.). Der Name weist uns für die Zeit ihrer Erbauung auf die Regierung des Tiberius hin, und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Gründung bereits ins J. 17 n. Chr. zu setzen ist[1].
Die Gründung von Tiberias ist jedoch nicht nur als Bekundung der Prachtliebe, sondern auch nach verschiedenen anderen Seiten hin für Herodes Antipas sehr bezeichnend: sie zeigt den Sohn ganz auf den Bahnen des Vaters. So dokumentiert die Benennung der neuen Hauptstadt nach dem Kaiser so recht deutlich die besondere Loyalität des Tetrarchen gegen diesen. Josephus (ant. Iud. XVIII 36) erwähnt denn auch gerade bei der Erzählung der Gründung von Tiberias ausdrücklich, daß Herodes Antipas mit Tiberius besonders eng liiert, ja wohl direkt befreundet gewesen sei. Dieses nahe Verhältnis zu dem Kaiser ist dann bis zu dessen Tode erhalten geblieben, So hat z. B. Tiberius den Tetrarchen benutzt, um sich inoffiziell über die Verhandlungen des syrischen Statthalters Vitellius mit den Parthern im J. 36 n. Chr. unterrichten zu lassen (Joseph. ant. Iud. XVIII 104. Sollte etwa die Luk. XXII 12 berichtete Gegnerschaft des Pontius Pilatus zu Herodes Antipas auf ähnliche Berichte
- ↑ *) Joseph. bell. Iud. IV 168; ant. Iud. XVIII 36–38. Mit Schürer II⁴ 217 aus der Einordnung der Gründungserzählung bei Josephus nach Angaben über das J. 26 n. Chr. irgend einen chronologischen Schluß zu ziehen ist ungehörig, da Josephus hier keine chronologische Darstellung bietet, sondern Sachabschnitte aneinanderreiht, die uns nur eine chronologische Anordnung vorspiegeln (s. S. 180*). Daher sind allein die Münzen von Tiberias für die Datierung zu verwerten; sie sind allerdings nicht eindeutig.
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/111&oldid=- (Version vom 11.6.2023)