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Juedischer Krieg/Buch IV 1-3

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Juedischer Krieg
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[285]
IV. Buch.




Der Krieg

im

Ostjordanland und in der Landschaft Judäa:

Von der Erstürmung Gamalas bis zum Marsch des Titus gegen Jerusalem.

Die Schreckensherrschaft der Parteien in der Hauptstadt.



[286]

[287]
Erstes Capitel.
Belagerung und Erstürmung von Gamala.

1 (1.) Alle Galiläer, die nach der Einnahme Jotapatas noch zu den Aufständischen zählten, traten nach der Niederlage der Tarichääer wieder auf die Seite der Römer, so dass die letzteren alle Festungen und Städte, mit Ausnahme von Gischala und des von den Juden besetzten Berges Itabyrium, in ihre Hand bekamen. 2 Mit den genannten Plätzen hielt es auch die Stadt Gamala, die Tarichää gegenüber oberhalb des Sees gelegen war. Sie gehörte zum Antheil des Agrippa, sowie Sogane und Seleucia, von denen die beiden ersteren Gebietstheile von Gaulanitis waren, und zwar Sogane vom sogenannten Obergaulanitis, Gamala aber von Untergaulanitis, während Seleucia am See der Semechoniten lag. 3 Dieser See hat 30 Stadien in der Breite und 60 in der Länge, indes sich seine sumpfigen Niederungen noch bis zur zur Gegend von Daphne ausdehnen. Abgesehen von ihrer üppigen Fruchtbarkeit ist diese Gegend auch das Quellgebiet für den sogenannten kleinen Jordan, dessen Gewässer es gerade vom Fuße des Tempels des goldenen Kalbes weg dem großen Jordan zuführt. 4 Während nun Agrippa beim Beginn des Abfalles die Bevölkerung von Sogane und Seleucia durch friedliche Unterhandlungen für sich hatte gewinnen können, wollte sich dagegen Gamala nicht fügen, weil sich ihre Bewohner noch mehr, als die von Jotapata, auf ihre schwer zugängliche Lage verlassen zu können glaubten. 5 Von einem hohen Berge aus zieht sich nämlich ein schroffer Kamm hin, der in seiner Mitte einen Wulst emporschiebt und, von diesem Vorsprunge aus nach vorn und nach rückwärts gleichmäßig ausbiegend, wieder gerade verläuft, so dass er eine Aehnlichkeit mit der Gestalt eines Kameeles, von dem die Stadt auch ihre Benennung bekommen hat, erhält, wobei es freilich die einheimischen mit der Genauigkeit des Namens nicht so scrupulös nehmen. 6 Zu beiden Seiten, wie auch vorne, ist er rings von klaffenden, unwegsamen Schluchten umgeben, und nur der rückwärtige Theil, dort, wo der Kamm vom Hauptberge abzweigt, macht von der Schroffheit der übrigen eine kleine Ausnahme; aber auch dieses Verbindungsstück hatten die Einheimischen mittels eines Quergrabens durchschnitten und so auch hier den Zugang schwierig gestaltet.

[288] 7 An der steilen Berglehne hingebaut, waren natürlich die Häuser ungeheuer dicht aufeinandergepfropft, so dass die Stadt nicht anders, als würde sie eben den Abgrund hinabgeworfen, infolge ihrer Steilheit Haus auf Haus herabzurollen schien. 8 Die Stadt hatte ihre Lage nach Süden, während die ebenfalls nach Süden schauende Bergfläche ober ihr, die zu einer ungeheuren Höhe emporstrebt, die Acropolis bildete. Der (Nord)rand der letzteren blieb ohne Mauern, da er ohnehin zu einer sehr tiefen Schlucht abstürzte. Innerhalb der Mauern knapp am Fuße der Stadt befand sich eine Quelle.

9 (2.) Diese von Natur aus schon schwer zu bezwingende Lage der Stadt hatte Josephus bei Gelegenheit seiner Festungsbauten daselbst noch durch Anlage von unterirdischen Gängen und Gräben verstärkt, 10 so dass der Besatzung von Gamala die Beschaffenheit des Platzes eine noch größere Zuversicht einflösste, als den Jotapatenern die ihrige. Doch waren der Streiter hier viel weniger, und nahm man auch im Vertrauen auf die starke Stellung keine neuen Kämpfer mehr auf. Zudem war ja die Stadt schon voll von Flüchtlingen, die, von der Festigkeit derselben angezogen, hier schon früher mit ihren Streitkräften den von Agrippa entsendeten Belagerungstruppen durch sieben Monate getrotzt hatten.

11 (3.) Vespasian brach nun von Ammath, woselbst er vor Tiberias gelagert: hatte, und dessen Namen man am besten mit „Warmbad“ wiedergeben dürfte, weil sich dort eine heilkräftige Quelle warmen Wassers, befindet, wieder auf und zog vor Gamala. 12 Da er wegen der geschilderten eigenthümlichen Lage der Stadt nicht imstande war, dieselbe mit einem vollständigen Beobachtungsgürtel zu umgeben, so stellte er wenigstens an den günstig gelegenen Punkten Wachtposten auf und besetzte den der Stadt gegenüberliegenden höheren Berg. 13 Nachdem die Legionen, wie gewöhnlich, ein festes Lager auf demselben, errichtet hatten, begann Vespasian am rückwärtigen Verbindungsstück die Belagerungsdämme aufzuwerfen und zwar so, dass er selbst die östliche Seite übernahm, wo der höchste Thurm der Stadt stand, dem gegenüber die fünfzehnte Legion sich gelagert hatte, während die fünfte Legion mehr gegen die Mitte der Stadt zu ihre Arbeiten ausführte, die zehnte aber die Aufgabe hatte, die Gräben und Schluchten auszufüllen. Da ereignete sich ein Zwischenfall. 14 König Agrippa hatte sich den Mauern genähert, um mit den oben stehenden Juden wegen der Uebergabe Unterhandlungen anzuknüpfen, als ihn ein Schleuderer an dem Ellenbogen der rechten Hand mit einem Steine traf. 15 Schnellstens wurde zwar der König von seinen eigenen Leuten gedeckt, immerhin aber reizte ebensowohl die Ent- [289] rüstung über die Behandlung des Königs wie auch die Sorge um sich selbst die Römer zur nachdrücklicheren Belagerung an, 16 da sie als Auswärtige und Feinde alle mögliche Grausamkeit von Seite solcher Leute gewärtigen mussten, welche schon gegen einen Landsmann und wohlwollenden Rathgeber einen so wilden Zorn bekundeten.

17 (4.) Schneller, als man denken sollte, waren alle Dämme unter den vielen, an solche Bauten gewohnten, Händen ihrer Vollendung entgegengeführt, worauf man die Widdermaschinen an die Mauern heranrückte. 18 Unterdessen stellten die Unteranführer des Chares und des Josephus, zweier der mächtigsten Persönlichkeiten der Stadt, ihre Bewaffneten zum Kampfe auf, obschon letztere sich sehr niedergeschlagen zeigten, da sie aus Mangel an Wasser und anderen Lebensmitteln die Belagerung nicht mehr lange aushalten zu können glaubten. 19 Doch ließ sich die Mannschaft, von den Officieren aufgemuntert, auf die Mauer hinausführen. Von dort aus wehrten sie auch einige Zeit den Versuchen, die Maschinen an die Mauern zu setzen, bis sie vor den Geschossen der Katapulten und Ballisten in die Stadt zurückweichen mussten. 20 Jetzt setzten die Römer an drei Punkten zugleich ihre Widder an und machten eine Bresche in die Mauer, über deren Trümmer sie sich sodann unter dem Schmettern der Kriegsfanfaren und Waffengeklirre und unter einem brausenden Schlachtgeschrei in die Stadt ergossen, wo es nun zum Zusammenstoß mit der Besatzung kam. 21 Eine ganze Weile gelang es derselben, durch ihre Gegenwehr an den untersten Zugängen die Römer am weiteren Vordringen zu hindern und sogar kräftig zurückzuweisen. 22 Endlich werden die Juden, von der Uebermacht erdrückt und auf allen Seiten gefasst, gegen die oberen Stadttheile hinaufgetrieben. Hier aber machten sie Kehrt, warfen sich wieder auf die nachrückenden Feinde, stießen sie in Massen den steilen Abhang hinunter und richteten unter den Römern, die sich auf dem engen und abschüssigen Raume nicht zu helfen wussten, ein förmliches Blutbad an. 23 Da sich die Soldaten weder gegen die Feinde ober ihren Köpfen vertheidigen noch auch sich aus dem Kampffeld schlagen konnten, indem die Ihrigen mit aller Gewalt vorwärts drängten, flohen sie schließlich auf die dort zufällig sehr niedrigen Häuser der Feinde. 24 Schnell waren indes dieselben überfüllt und wurden, da sie der Last nicht gewachsen waren, dadurch zum Einsturz gebracht, wobei aber ein einziges in seinem Sturze viele andere, die unter ihm waren, und diese hinwiederum andere unter ihnen stehende mit sich hinabrissen. 25 Das brachte sehr vielen Römern den Untergang. Denn in ihrer Rathlosigkeit sprangen sie immer wieder auf die Dächer, selbst wenn sie dieselben vor ihren eigenen [290] Augen zusammenbrechen sahen. So wurden viele unter den Trümmern verschüttet, vielen anderen, die eben noch abspringen konnten, einzelne Gliedmaßen zerschmettert, die meisten aber vom Staube erstickt. 26 Das war für die Gamalenser ein Zeichen der göttlichen Hilfe, und darum stürmten sie unbekümmert um den eigenen Schaden, den sie sich dadurch bereiteten, desto hitziger auf die Römer los, um sie auf die Dächer hinaufzudrängen, während sie die in den jähen Gassen abgleitenden und niederfallenden Feinde mit einem ununterbrochenen Hagel von Geschossen aus der Höhe bewarfen und tödteten. 27 Der Häuserschutt bot ihnen dabei Steine in Hülle und Fülle, die Leichen der Feinde aber lieferten die Klingen, indem man den gefallenen Römern ihre Schwerter entriss und damit den Schwerverwundeten den Rest gab. 28 Viele stürzten sich in dem Augenblicke, da schon die Dächer einbrechen mussten, freiwillig hinunter und blieben todt. 29 Ja selbst jenen, die sich zurückzogen, wurde die Flucht nicht leicht, da sie, der Wege unkundig und in dichten Staub gehüllt, nicht einmal wussten, wo die eigenen Leute wären, infolgedessen sie ineinander geriethen und einer über den anderen fielen.

30 (5.) Mit knapper Noth fanden so die letzteren den Ausgang und zogen sich aus der Stadt zurück. 31 Was aber Vespasian anbelangt, so hatte derselbe ununterbrochen bei seinen gefährdeten Soldaten ausgehalten – gieng doch ein unsägliches Weh durch seine Seele, als er Zeuge sein musste, wie die Stadt über seinem Heere herunterstürzte! – ja, er war sogar, seiner eigenen Sicherheit ganz vergessend, allmählich, ohne es selbst zu merken, bis gegen den obersten Stadttheil hinaufgedrungen, wo er nun mit einer kleinen Schar ganz verlassen in der höchsten Gefahr schwebte 32 – denn nicht einmal sein Sohn Titus war jetzt an seiner Seite, da er gerade damals eine Sendung an Mucianus nach Syrien übernommen hatte. 33 Den Feinden einfach den Rücken zu kehren, hielt nun Vespasian weder für geheuer, noch seiner würdig: eingedenk vielmehr alles dessen, was er von Jugend auf schon durchgemacht, eingedenk seiner eigenen Kraft, ließ er, wie von einem göttlichen Feuer erfasst, seine Waffengefährten Schulter an Schulter, Rüstung an Rüstung zu einem einzigen Schlachthaufen zusammenschließen 34 und hielt so dem vom Bergesgipfel sich herabwälzenden feindlichen Kriegerstrom unerschütterlich Stand, ohne sich von deren Uebermacht oder ihren zahllosen Geschossen im geringsten einschüchtern zu lassen. Endlich merkten die Feinde selbst, dass sie es mit einem ans Wunderbare grenzenden Heldenmuth zu thun hatten, und ließen in ihrem Ansturm nach. 35 Jetzt erst zog sich Vespasian in dem Grade, als der feindliche Angriff erlahmte, zurück, wobei er immer rücklings gieng [291] und nie dem Feinde den Rücken zeigte, bis er außerhalb der Mauer war. 36 Eine sehr große Zahl von Römern war in diesem Kampfe gefallen, darunter auch der Dekurio Aebutius, ein Mann, der sich nicht bloß in der Schlacht, bei der er ums Leben kam, sondern auch früher schon bei jeder Gelegenheit als der wackersten einer bewiesen und den Juden große Verluste beigebracht hatte. 37 Dagegen war es einem Centurio, namens Gallus, der mit zehn Soldaten abgeschnitten worden, in dem Durcheinander geglückt, sich im Hause eines Stadtbewohners zu verstecken. 38 Hier wurde er nun von seinem Verstecke aus Ohrenzeuge, wie die Hausbewohner sich bei der Abendmahlzeit über die vom Volke gegen die Römer geplanten Maßregeln besprachen, die natürlich auch ihn und seine Gefährten angiengen, obschon sie zunächst gebürtige Syrer waren. Daraufhin erhob er sich des Nachts, stach alle im Hause nieder und kam mit seinen Soldaten glücklich zu den Römern zurück.

39 (6.) Da das Heer sich durch den Gedanken an die arge Schlappe und insbesondere deshalb entmuthigt zeigte, weil es bis zur Stunde noch nirgends ein so schlimmes Missgeschick gehabt hatte, was ihm aber am peinlichsten war, sich auch noch schämen musste, den eigenen Feldherrn in der Gefahr im Stiche gelassen zu haben, so suchte Vespasian dasselbe durch gütigen Zuspruch wieder aufzurichten, 40 wobei er übrigens, um auch nicht den Schein einer tadelnden Anspielung zu erwecken, seine persönliche Gefahr ganz unberührt ließ. „Wir müssen,“ sprach er, „im Hinblick auf das Wesen des Krieges das gemeinsame Unglück männlich tragen, indem nirgends ein Sieg ohne Blutvergießen erblüht. Das Glück dreht sich ja und rollt um sich herum. 41 Wir haben übrigens dem Unglücksgott nur eine verhältnismäßig kleine Schlappe gezahlt, in Anbetracht des Umstandes, dass wir schon soviele Tausende von Juden vertilgt haben. 42 Wie es aber die Art niedrig denkender Menschen ist, sich im Glücke zu erheben, ebenso ist es auch nur unmännlichen Seelen eigen, dass sie bei Unglücksschlägen gleich zusammenschrecken. Tritt ja doch so schnell in beiden Fällen der Umschwung ein, und darum ist jener der wackerste, welcher auch das Glück sich nie zu Kopfe steigen lässt, um sich auf diese Weise auch für sein Unglück soviel unverdrossenen Muth zu sparen, als nöthig ist, die Scharten wieder auszuwetzen. 43 Zudem ist das, was uns jetzt zugestoßen ist, weder die Folge einer größeren Verweichlichung von unserer Seite, noch einer größeren Tapferkeit von Seite der Juden, sondern der einzige Grund, dass sie über uns einen Vortheil errungen und wir den Kürzeren gezogen haben, ist vielmehr die steile Lage der Veste. 44 In Anbetracht derselben könnte man allerdings gegen die Unüberlegtheit eures Angriffes einen Tadel erheben: denn als die Feinde sich auf die höchsten [292] Punkte der Stadt flüchteten, hättet ihr euch zurückhalten und der auf der Höhe lauernden Gefahr nicht entgegenlaufen sollen. Vielmehr hättet ihr nach der Besetzung der unteren Stadt von da aus die nach oben Geflüchteten nach und nach zu einem sicheren und geordneteren Kampfe herablocken sollen. So aber habt ihr in eurem zügellosen Hasten nach dem Siege eure Sicherheit ganz außer Acht gelassen. 45 Der Mangel aber an Umsicht im Kampfe und rabiates Dreinschlagen ist keineswegs bei den Römern Brauch, die wir nur auf dem Wege der Erfahrung und der militärischen Ordnung all’ unsere Erfolge erzielen, sondern es ist das eine Barbarensitte, von der sich ganz besonders die Juden beherrschen lassen. 46 Es heißt also jetzt wieder bei unserer eigenen Kampfmethode bleiben, und der ohne unser Verschulden erlittene Schlag soll, weit entfernt, unseren Muth herabzudrücken, weit eher noch unseren gerechten Grimm entflammen. 47 Das kräftigste Trostwort soll sich übrigens jeder aus uns von seinem eigenen guten Schwerte sprechen lassen: denn damit könnt ihr zugleich für eure armen Kameraden Rache nehmen und ihre Würger zur Strafe ziehen. 48 Was endlich meine Person anbelangt, so werde ich, wie eben jetzt, so auch bei jedem Strauß trachten, der vorderste von euch beim Sturme, der letzte aber beim Rückzuge zu sein.“

49 (7.) Mit dieser Ansprache richtete Vespasian sein Heer wieder auf. Was aber die Gamalenser betrifft, so stellte sich freilich bei ihnen für eine kleine Weile kühne Zuversicht wegen des Sieges ein, den sie in einer so überraschenden Weise und so glänzend errungen hatten: 50 als sich jedoch später die Erwägung geltend machte, wie sie sich damit zugleich jeder Hoffnung auf Gnade selbst beraubt hatten, in einem Augenblicke, wo schon die Lebensmittel auf die Neige giengen – von Flucht sahen sie überhaupt keine Möglichkeit –, da begann ihr Muth gewaltig zu sinken, und die Stimmung wurde eine sehr gedrückte. 51 Trotzdem wollten sie nichts unversucht lassen, was in ihren Kräften stand, um an ihrer Rettung zu arbeiten. Die besten Streiter bewachten die Breschen in der Mauer, während die übrigen die noch unversehrten Theile der Mauer besetzten und hier Wache hielten. 52 Als aber die Römer ihre Dämme noch höher aufzuschütten begannen, um einen neuen Angriff zu versuchen, da begann man massenweise, theils über unwegsame Schluchten hinab, wo natürlich keine Posten lagen, theils durch die unterirdischen Gänge aus der Stadt zu entweichen. 53 Jene aber, die aus Furcht, in Gefangenschaft zu gerathen, in der Stadt verblieben, fielen der Noth zum Opfer, da man bereits von allen Ecken und Enden die Nahrung nur mehr für die wehrkräftige Mannschaft zusammenraffte.

[293] 54 (8.) So hielten sie in dieser traurigen Lage noch längere Zeit aus. Unterdessen beschäftigte sich Vespasian wie zur Abwechslung neben der Belagerung von Gamala auch mit der Besatzung des Berges Itabyrium, 55 der sich zwischen der großen Ebene und Scythopolis befindet und zu einer Höhe von beiläufig dreißig Stadien aufragt. Er ist nur an der Nordseite und auch da nur zur Noth zugänglich. Seinen Gipfel bildet eine ganz ummauerte Ebene von 26 Stadien Umfang. 56 Trotz dieser gewaltigen Ausdehnung hatte Josephus die Ringmauer um dieselbe in nur vierzig Tagen aufgeführt, während welcher Zeit er sich nebst anderem Bedarf auch das Wasser von unten her beistellen lassen musste, da die Bergbewohner bloß Regenwasser hatten. 57 Auf diesem Berge hatte sich nun eine große Menschenmenge zusammengefunden, weshalb Vespasian den Placidus mit 600 Berittenen dahin abschickte. 58 Da dem Placidus die Besteigung des Berges zu schwierig vorkam, so suchte er die Hauptmasse dadurch an sich heranzuziehen, dass er bei ihr die Hoffnung erweckte, er wolle sich in einen Vergleich einlassen und nur die Friedensschalmei blasen. 59 Wirklich stiegen die Juden den Berg herunter, aber nur in der Absicht, um der List mit List zu begegnen. Denn während auf der einen Seite Placidus nur darum so sanfte Saiten aufzog, weil er die Juden in der Ebene fassen wollte, so gaben sich umgekehrt auch die Juden ganz den Anschein, als ob sie nur auf sein Zureden hin zum Abstieg bewogen worden wären, während sie jedoch über den Unvorsichtigen herzufallen gedachten. 60 Indes zeigte sich Placidus als den größeren Schlaukopf. Denn kaum waren die Juden zum Angriff übergegangen, als er sich auch schon aus Verstellung zur Flucht wandte und die Juden auf ihrer Verfolgung weit in die Ebene hinter sich her lockte. Auf einmal lässt er seine Reiterei Kehrt machen, wirft die Feinde unter einem großen Gemetzel, bei dem die meisten von ihnen aufgerieben werden, über den Haufen und schneidet der übrigen Masse wenigstens den Rückzug auf den Berg ab, 61 infolgedessen sie gezwungen waren, dem Itabyrium den Rücken zu wenden und gegen Jerusalem zu fliehen. Die eigentlichen Bergbewohner, denen noch dazu das Wasser ausgegangen war, ergaben sich dann auf Gnade und lieferten die Mannschaft und den Berg an Placidus aus.

62 (9.) Mittlerweile machten sich in Gamala die Verwegneren aus der Bevölkerung, einer nach dem andern, heimlich aus dem Staube, indes die schwächeren Leute dem Hunger erlagen. 63 Die wehrhafte Mannschaft aber trotzte der Belagerung bis zum 22. des Monates Hyperberetäus. Um die genannte Zeit schlichen sich drei Soldaten der fünfzehnten Legion gegen die Morgenwacht an den auf ihrer Seite vorspringenden Thurm heran und begannen in aller Stille denselben [294] zu untergraben. 64 Die Wachen auf dem Thurme merkten, da es Nacht war, weder etwas von ihrem Nahen, noch auch von ihrer Anwesenheit. So konnten die Soldaten, indem sie bei ihrer Arbeit, jedes größere Geräusch vermieden, fünf der gewaltigsten Steine herauswälzen und eben noch davonspringen. 65 Urplötzlich sank der Thurm unter entsetzlichem Dröhnen zusammen und riss in seinem Falle die Wachen mit sich hinab. Voll Schrecken ergriffen die Wachen auf den übrigen Posten die Flucht. 66 Viele wollten sich durch die Römer durchschlagen, wurden aber niedergemetzelt, worunter auch der genannte Josephus, welcher in dem Augenblicke, wo er über die Trümmer der Mauerbresche ins freie Feld fliehen wollte, von einem Schützen getroffen todt zusammenbrach. 67 In der Stadt, wo das Dröhnen alles erschüttert hatte, herrschte ein furchtbares Durcheinander und Entsetzen, als ob schon alle Feinde in die Stadt eingebrochen wären. 68 Bei dieser Gelegenheit verschied auch Chares, der gerade ans Bett gefesselt und ziemlich leidend war, indem der Schreck wesentlich den tödtlichen Ausgang der Krankheit beschleunigte. 69 Uebrigens marschierten die Römer, welche die frühere Schlappe nur zu wohl in Erinnerung hatten, nicht vor dem 23. des vorerwähnten Monates in die Stadt ein.

70 (10.) Titus, welcher unterdessen eingetroffen, war es, der voll Grimm über die von den Römern während seiner Abwesenheit erlittene Niederlage an der Spitze von 200 auserlesenen Reitern nebst einigem Fußvolk in aller Stille in die Stadt eindrang. 71 Die Wachen merkten seinen Anmarsch, schlugen Lärm und griffen zu den Waffen. Als die Kunde vom Anrücken der Römer sich rasch auch im Innern der Stadt verbreitet hatte, nahmen die einen eilends ihre Kinder und flohen mit ihnen sammt den Frauen, die sie fast hinter sich nachschleppten, unter lautem Schluchzen und Angstgeschrei nach dem Gipfel hinauf; die anderen stürmten Titus entgegen, wurden jedoch reihenweise niedergeschmettert. 72 Jene aber, denen die Flucht nach dem Gipfel nicht mehr möglich war, liefen in ihrer Rathlosigkeit zur Stadt hinaus – den römischen Wachen entgegen. Schauerlich widerhallte überall das Röcheln der zu Tode Getroffenen, und die ganze Stadt war von Blutbächen überschwemmt, welche die steilen Abhänge hinunterrieselten. 73 Beim Sturme auf jene, die nach der Höhe geflohen waren, griff nun auch Vespasian ein und ließ zu diesem Zwecke seine ganze Macht in die Stadt einrücken. 74 Den Gipfel bildete ein massiver, schwer zugänglicher Felsen, der zu einer ungeheuren Höhe emporstarrte. Er war jetzt von der Menschenmenge überall vollgepfropft und zudem ringsum geschützt durch seine steilen Abhänge. 75 Die ersten, die es wagten, hier heraufzusteigen, wurden von den Juden einfach niedergehauen, den andern [295] brachten sie mit Pfeilschüssen und hinabgewälzten Felsblöcken Verluste bei, während sie selbst infolge der Höhe für die Geschosse der Römer fast unerreichbar blieben. 76 Auf einmal aber erhebt sich, wie von Gott gesandt, zu ihrem Verderben ein heftiger Gegenwind, welcher die Pfeile der Römer zu ihnen hinauftrug, die eigenen aber von der Richtung ablenkte und seitwärts verwehte. 77 Die Gewalt des Sturmes war so groß, dass die Juden sich weder über dem jähen Abhange halten konnten, da sie dort keinen festen Stützpunkt hatten, noch auch die Stürmenden zu sehen vermochten. 78 So kamen die Römer hinauf und hatten in einer Schnelligkeit die Juden, die sich theils noch wehrten, theils die Hände um Erbarmen ausstreckten, von allen Seiten umzingelt. Infolge der Erinnerung an die Opfer, die der erste Sturm gekostet, richtete sich jedoch ihr Grimm mit gleicher Heftigkeit gegen sämmtliche Juden ohne Unterschied. 79 Nun stürzte die Schar der Männer, weil nirgends mehr ein Ausweg war, an jeder Rettung verzweifelnd, zuerst Weib und Kind und dann sich selbst in die Schlucht hinab, die gerade unter dem Gipfel sich zu einer furchtbaren Tiefe aufthut. 80 So sollte selbst der Zorn der Römer in einem noch milderen Lichte sich zeigen, als das verzweiflungsvolle Wüthen der Eingeschlossenen gegen sich selbst: denn 4000 waren von den Römern hingemetzelt worden, über 5000 aber war die Zahl derer, die sich selbst in die Tiefe gestürzt hatten und dort gefunden wurden. 81 Keine Seele blieb übrig, mit Ausnahme zweier Frauen, Töchter von einer Schwester des Philippus, der ein Sohn des Jakimus, eines vornehmen Mannes und ehemaligen Feldhauptmanns des Königs Agrippa, war. 82 Sie waren dem Tode nur dadurch entgangen, dass sie sich dem ersten Grimm der stürmenden Römer in einem Verstecke entzogen hatten. Schonte man ja nicht einmal unmündige Kinder, sondern packte sie kurzweg und schleuderte sie haufenweise, wo man sie traf, von dem Gipfel in die Tiefe hinunter. 83 So ward Gamala erstürmt, am 23. des Monates Hyperberetäus. Am 24. des Monates Gorpiäus aber war hier der Aufstand ausgebrochen.


Zweites Capitel.
Gischala ergibt sich. Johannes flieht nach Jerusalem.

84 (1.) Jetzt war nur mehr das Städtchen Gischala in Galiläa übrig, das noch nicht in den Händen der Römer sich befand. Zwar war hier die eigentliche Bevölkerung friedlich gesinnt, da sie zumeist aus Bauern bestand, deren ganzes Interesse stets nur die Hoffnung auf einen guten Ertrag in Anspruch zu nehmen pflegt, aber es hatte sich zu ihrem Unglück eine nicht unbedeutende Bande von Schurken in die Stadt [296] eingeschlichen, in deren leidenschaftliche Umtriebe auch ein Theil des dortigen Bürgerstandes mit hineingerissen wurde. 85 Der treibende Factor unter ihnen, der auch den Aufstand organisierte, war Johannes, der Sohn eines gewissen Levi, ein Erzbetrüger, der alle Rollen spielen konnte und ebensoschnell dabei war, sich in kühnen Träumen zu wiegen, als er energisch war, das gehoffte Ziel auch zu erreichen, so dass es für Niemand ein Geheimnis war, er wolle den Krieg nur, um sich der Herrschaft zu bemächtigen. 86 So ward er das Haupt der eigentlichen Kriegspartei in Gischala, unter deren Zwang nun auch die Volkspartei, die sich vielleicht unter anderen Umständen sogar zu einer Gesandtschaft wegen der Uebergabe entschlossen haben würde, den Anmarsch der Römer mit den Waffen in der Hand erwartete. 87 Gegen diese Rebellen von Gischala sandte nun Vespasian den Titus mit 1000 Reitern ab, während er die zehnte Legion nach Scythopolis führte 88 und dann in Begleitung der zwei anderen Legionen wieder nach Cäsarea zurückkam. Er wollte denn doch endlich seinen Soldaten einmal eine Erholung von der unausgesetzten Anstrengung gewähren und glaubte gerade in den genannten wohlhabenden Städten Leib und Geist seiner Truppe für die bevorstehende Campagne allmählig wieder kräftigen zu können. 89 War es doch kein kleines Stück Arbeit, das er in der Eroberung Jerusalems noch vor sich sah, da ja Jerusalem die alte Königsstadt, das Haupt der ganzen Nation und damals auch das Stelldichein aller jener war, die der Krieg zur Flucht gezwungen hatte. 90 Schon ihre von Natur aus starke, durch den Bau von Befestigungswerken noch verstärkte Lage machte ihm keine geringe Sorge; sah er aber dann erst auf die Entschlossenheit und Verwegenheit ihrer Vertheidiger, so musste er voraussetzen, dass diese Leute selbst ohne Mauern schon sehr schwer zu bewältigen sein würden: 91 Grund genug, seine Soldaten im vorhinein zu stählen, wie man Ringkämpfer vor dem Kampfe stählt!

92 (2.) Als Titus gegen Gischala herangeritten kam, sah er gleich, dass er die Stadt mit Leichtigkeit im ersten Anlauf nehmen könnte: er wusste aber auch, dass im Falle einer förmlichen Erstürmung die Bevölkerung von der Soldateska rücksichtslos niedergehauen werden würde, während er schon an der bisherigen Schlächterei übergenug hatte und mit der großen Mehrzahl des Volkes Erbarmen fühlte, das da unschuldig mit den Schuldigen ohne Unterschied hingemordet worden wäre. Er wünschte aus diesem Grunde, die Stadt lieber aus dem Wege der Capitulation sich zu unterwerfen. 93 Er hielt nun im Angesichte der Stadtmauer, die von Männern, zumeist freilich der Rotte jener Elenden angehörig, über und über bedeckt war, folgende [297] Ansprache an sie: „Ich wundere mich nur, mit welcher Zuversicht ihr allein noch, nachdem schon alle Städte erobert sind, den römischen Waffen zu trotzen waget, 94 da ihr doch sehen konntet, wie selbst viel stärkere Städte im ersten Ansturm in Trümmer gelegt worden sind, während andererseits alle diejenigen, welche sich den Römern auf Treue und Glauben ergeben haben, vor euren Augen in dem ruhigen Genüsse ihrer Güter dahinleben. Diese Gnade biete ich auch euch jetzt an, ohne euch im geringsten etwas wegen eures Uebermuthes nachzutragen. 95 Denn Nachsicht verdient die Hoffnung auf Freiheit, keine mehr aber ein aussichtsloser Starrsinn. 96 Wollet ihr euch nämlich meinen humanen Worten und der Zusicherung meiner Gnade nicht fügen, so werdet ihr die ganze Schärfe meines Schwertes fühlen müssen und nur zu bald die Entdeckung machen, dass eure Mauer für die römischen Maschinen bloß ein Kinderspiel ist, und dass das Vertrauen darauf euch vor allen Galiläern nur den traurigen Ruhm verleihen kann, freche Gefangene zu sein.“

97 (3.) Keiner aus der Bürgerpartei durfte sich an der Erwiderung auf diese Vorschläge betheiligen; nicht bloß das, sie durften nicht einmal die Mauer betreten, die absichtlich schon zuvor in ihrer ganzen Ausdehnung von dem Gesindel in Beschlag genommen worden war. Auch die Thore waren von Wachen besetzt, damit niemand, sei es, zum Zwecke der Capitulation die Stadt verlassen oder einige von den Reitern hineinlassen könnte. 98 Dafür ergriff Johannes das Wort und erklärte, dass ihm die Aufforderung zur Uebergabe sehr erwünscht komme, und dass er die Widerspenstigen zur Annahme derselben entweder bereden oder nöthigenfalls auch zwingen werde. 99 Indes müsse schon Titus jenen Tag – es war nämlich gerade Sabbath – dem jüdischen Gesetze zugute halten, weil es ihnen an diesem Tage nicht erlaubt wäre, sich auch nur in Friedensverhandlungen einzulassen, sowenig, wie zu den Waffen zu greifen. 100 Gewiss sei es auch den Römern nicht unbekannt, wie strenge der siebente Tag bei ihnen Woche für Woche von allen Geschäften freigehalten werden müsse: in der Verletzung desselben läge für den, der sie erzwingen möchte, kein geringerer Frevel, als für den, der dem Zwange nachgeben wollte. Uebrigens könnte ja ein Aufschub dem Titus keinerlei Schaden bringen. 101 Denn was sollte wohl Jemand bei der Nacht noch besonderes im Schilde führen, da es doch Titus freistehe, sein Lager rings um die Stadt aufzuschlagen und dieselbe scharf zu bewachen. 102 Andererseits aber wäre den Juden sehr geholfen, wenn sie ihre väterlichen Gesetze in keiner Weise zu übertreten brauchten. Wenn schon Titus ihnen wider alles Erwarten den Frieden gnädig gewähren wolle, so wäre es geziemend, auch die Gesetze bei denen, [298] die er retten wolle, zu schonen. 103 Mit diesen und ähnlichen Vorstellungen führte er wirklich Titus hinters Licht, da er es gar nicht auf den siebenten Tag, sondern nur auf seine eigene Rettung abgesehen hatte. Er fürchtete mit Grund, falls die Stadt sofort mit Sturm genommen würde, hier ergriffen zu werden, während eine nächtliche Flucht ihm allein noch Hoffnung gab, mit dem Leben davonzukommen. 104 Im Grunde genommen, war es eine Fügung Gottes, der Johannes zum Unheil Jerusalems erhalten wollte, dass Titus sich nicht nur durch den vorgeschützten Beweggrund zum Aufschub bestimmen ließ, sondern sogar in größerer Entfernung von der Stadt, bei Kydyssa, sein Lager aufschlug. 105 Es war dies ein stark befestigtes Dorf im tyrischen Grenzgebiet, welches ein Gegenstand beständiger Feindschaft und Fehde für die Galiläer war, da es eine zahlreiche Bevölkerung und in seiner Befestigung einen guten Hinterhalt für die Feindseligkeiten gegen die jüdische Nation besaß.

106 (4.) Als nun beim Eintritt der Nacht Johannes keine einzige römische Wache mehr in der Umgebung der Stadt gewahrte, benützte er rasch den günstigen Augenblick, nahm nicht allein seine Bewaffneten, sondern auch viele andere für den Kampf unnütze Männer sammt ihren Familien mit und flüchtete sich mit ihnen gegen Jerusalem. 107 Zwanzig Stadien weit gelang es nun dem Menschen, dem natürlich die Angst um seine Freiheit und sein Leben die Schritte beflügelte, den Tross der Frauen und Kinder in gleichem Schritte mit sich fortzubringen; darüber hinaus aber begannen sie zurückzubleiben und, von den Ihrigen verlassen, erbärmliche Klagen auszustoßen. 108 Denn die Männer liefen so, als würden ihnen die Feinde desto näher zu Leibe rücken, je weiter sie sich selbst von ihren Angehörigen entfernten. Sie vermeinten, dass jetzt und jetzt die Römer auftauchen würden, um sie gefangen zu nehmen, und jagten entsetzt weiter, wobei sie sich sogar auf das Geräusch hin, das die eigenen Leute beim Laufen verursachten, erschreckt umwandten, als ob die Gefürchteten schon zur Stelle wären. 109 Eine große Zahl verunglückte auf Abwegen, während auch der Straße entlang in der dringenden Hast, mit der einer dem anderen zuvorzukommen trachtete, eine Menge Leute niedergestoßen wurden. 110 Zum Erbarmen war zumal das Schicksal der Frauen und Kinder, von denen manche auf den Zuruf ihrer Gatten und Verwandten hin sich wieder aufrafften und unter lautem Schluchzen sie inständig baten, doch auf sie zu warten. 111 Aber den Ausschlag gab schließlich der Befehl des Johannes, der den Männern zuschrie, sie möchten sich selbst in Sicherheit bringen und jener Stadt zufliehen, in der sie auch für die verlassenen Familien, falls sie schon weggeschleppt würden, an den [299] Römern Rache nehmen könnten. 112 So zertheilte sich der Haufe von Flüchtlingen da- und dorthin, wohin jeden seine Kraft oder Beine eben trugen.

113 (5.) Als es tagte, erschien Titus wieder vor den Mauern, um die Capitulation entgegenzunehmen. Die Bürgerschaft öffnete ihm auch sofort die Thore, zog ihm mit Frauen und Kindern entgegen und feierte ihn laut als ihren Wohlthäter, der die Stadt von ihrem Kerkermeister befreit habe. 114 Man erzählte ihm nämlich zugleich von der Flucht des Johannes, bat ihn um Verzeihung für die Bürgerschaft und um die Bestrafung der noch übrigen Rebellen nach seinem Einzuge. 115 Ehe Titus die letztere Bitte der Bürger erfüllen wollte, sandte er vor allem eine Reiterabtheilung zur Verfolgung des Johannes ab. Ihn selbst erwischten nun zwar die Reiter nicht mehr, da er schon vor ihnen Jerusalem mit heiler Haut erreicht hatte, aber von den Männern, die mit ihm von Gischala aufgebrochen waren, hieben sie an die 6000 nieder, während sie von den Frauen und Kindern nicht viel unter 3000 von allen Seiten zusammentrieben und zur Rückkehr nöthigten. 116 Titus ärgerte sich natürlich, dass er nicht sogleich dem Johannes für seinen Betrug den Kopf vor die Füße hatte legen können, aber die Menge der Gefangenen und die Gefallenen boten immerhin seinem Grimme eine Genugthuung, mit der er sich über die fehlgeschlagene Expedition trösten konnte. Er betrat nun, von Lobeshymnen umrauscht, die Stadt 117 und ließ durch seine Soldaten eine kleine Strecke von der Mauer einreißen, das gewöhnliche Zeichen der Einnahme, suchte aber im übrigen mehr durch Drohungen als durch wirkliche Executionen die Unfriedenstifter zur Ruhe zu zwingen: 118 Denn würde er, meinte Titus, an die Ausscheidung der Strafbaren gehen, so würden wohl viele aus Privathass und persönlicher Feindschaft die unschuldigsten Leute angeben. Es sei aber doch gewiss besser, den Schuldigen zwischen Furcht und Hoffnung am Leben zu belassen, als einen, der es nicht verdient hat, mit ihm zugrunde gehen zu lassen. 119 Denn im ersteren Falle könnte es wohl sogar geschehen, dass er den begnadigten Störefried durch die Furcht vor der Strafe zur Vernunft brächte und durch den großmüthigen Pardon für das Vergangene beschämte: umgekehrt aber könnte man die Hinrichtung widerrechtlich hingeopferter Menschen nicht mehr rückgängig machen. 120 Indes legte er in die Stadt zur Sicherheit eine Besatzung, um sowohl die Neuerungssüchtigen im Zaume zu halten, als die friedlich Gesinnten mit größerer Zuversicht bei seinem Scheiden zu erfüllen. So war nun Galiläa endlich nach vielem Schweiß und saurer Arbeit von den Römern vollständig bezwungen.


[300]
Drittes Capitel.
Aufregung in Jerusalem. Zusammenströmen der Rebellen. Das Wüthen der Zeloten gegen die Aristokraten und Hohenpriester. Wahl des Phannias zum Hohenpriester. Ananus bietet das Volk gegen die Zeloten auf. Letztere im Tempel eingeschlossen. Verrath des Johannes von Gischala.

121 (1.) Beim Einzug des Johannes war in Jerusalem alles Volk aus den Häusern auf die Straßen hinausgelaufen, und eine vielhundertköpfige Menge umstand jeden einzelnen Flüchtling, der mit ihm gekommen, um etwas Näheres über die traurigen Vorgänge außerhalb Jerusalems zu erfahren. 122 Obschon der noch heiß fliegende Athem nur zu deutlich ihre ausgestandene Angst verrieth, konnten sie doch selbst im Unglück noch groß thun, indem sie meinten, sie hätten nicht vor den Römern Reißaus genommen, sondern wären nur gekommen, um von Jerusalem aus desto sicherer dieselben zu bekämpfen. 123 Denn nur unvernünftige und unpraktische Leute könnten wegen Gischala und ähnlicher elender Nester tollkühn ihre Haut zu Markte tragen, da man doch Wehr und Mannschaft lieber für die Hauptstadt sparen und zusammenhalten sollte. 124 Dabei ließen sie natürlich auch ein und das andere Wort über die Einnahme von Gischala fallen, aus denen die meisten schon herausmerkten, dass das, was man etwas nobler „Rückzugsbewegung“ benamset hatte, im Grunde nur eilige Flucht gewesen sei. 125 Als sich aber dann noch die Kunde von den Vorgängen bei der Gefangennahme verbreitete, griff im Volke keine geringe Bestürzung Platz, da man dieselben als gewaltig ernste Vorzeichen der eigenen Niederlage betrachten musste. 126 Anstatt nun wegen seines Benehmens gegen die feige verlassenen Familien schamroth zu werden, gieng Johannes vielmehr in Jerusalem von dem einen zum anderen und stachelte durch selbstgemachte Hoffnungen zum Kriege auf, indem er die Macht der Römer als recht schwach darstellte, die der Juden aber recht herausstrich 127 und noch seinen Spott mit der Unkenntnis des unerfahrenen Volkes treiben konnte durch die Bemerkung, dass die Römer nicht einmal, wenn sie sich Flügel nähmen, jemals über die Mauern Jerusalems hinüberkämen, da sie sich schon an den Galiläischen Dörfern die Köpfe blutig gestoßen und an den dortigen Mauern ihre Maschinen zerrieben hätten.

128 (2.) Durch diese Reden wurde der Großtheil der jungen Leute auf die Seite der Schurken gezogen und war Feuer und Flamme für den Krieg. Unter den besonneneren und älteren Leuten dagegen gab es wohl keinen, der nicht in Voraussicht der kommenden Dinge die Stadt wie eine bereits verlorene betrauert hätte. 129 So herrschte nur [301] Verwirrung unter dem Volke zu Jerusalem. Bevor aber noch in Jerusalem der Zwiespalt eingerissen, hatte sich schon die Bevölkerung im Lande in zwei Lager getheilt. 130 Den Anstoß dazu gab die Ankunft des Titus in Cäsarea und der Zug, den darauf Vespasian von Cäsarea nach Jamnia und Azotus unternahm. Es gelang ihm hiebei, diese Städte auf seine Seite zu bringen und durch eine Besatzung zu sichern, worauf er, begleitet von einer zahlreichen Menge, die er sich bei den friedlich unterworfenen geholt hatte, wieder nach Cäsarea zurückkehrte. 131 Jetzt regte sich dafür in jeder Stadt Unfriede und Bruderkampf, und wo man sich vom Schrecken vor den Römern wieder erholt hatte, kehrte man jetzt die Fäuste gegeneinander. Zwischen der Kriegspartei und der friedliebenden Bevölkerung herrschte eine arge Verbitterung. 132 Zuerst griff der Streit nur in einzelnen Häusern bei Leuten um sich, die schon von jeher nicht gerade in der besten Eintracht miteinander gelebt hatten: dann aber kam es soweit, dass selbst Personen, die bislang durch die engsten Bande der Liebe verbunden gewesen, in zügelloser Feindschaft sich nunmehr gegenüber traten, und da sich jedermann natürlich an seine Gesinnungsgenossen anschloss, bereits in ganzen Massen bekämpften. 133 Ueberall herrschte Parteiung, und überall bekam gerade jene Partei, die für den Umsturz war und nur den Kampf herbeiwünschte, dank ihrer jugendlichen Kraft und Verwegenheit, das Uebergewicht über die alten und vernünftigen Leute. 134 Anfänglich verlegten sich nur einzelne auf eigene Faust auf die Plünderung der Ortsbevölkerung, dann aber bildete man förmliche Rotten, um die Bewohner des flachen Landes auszurauben, was mit einer Grausamkeit und Frevelei geschah, dass die Einwohner hierin keinen Unterschied mehr zwischen den Römern und ihren eigenen Landsleuten spüren konnten, ja, dass den ausgezogenen Opfern selbst die römische Gefangenschaft noch viel erträglicher schien.

135 (3.) Die römische Besatzung in den Städten gewährte theils aus Besorgnis, selbst hart mitgenommen zu werden, theils aus Hass gegen die jüdische Nation den Bedrängten gar keine oder nur geringe Hilfe. Endlich, nachdem sich die Banden allerorts auf dem Lande an dem dort gemachten Raube vollgesogen, begannen sie sich unter ihren Hauptleuten zu sammeln und zogen sich, eine wahre Armee von Schurken, zum Unheil Jerusalems in diese Stadt hinein, 136 in diese Stadt, sage ich, die damals leider keine feste Führung hatte und nach väterlicher Sitte alles, was Stammgenosse hieß, ohne Untersuchung aufnahm, und wo damals auch noch die allgemeine Ueberzeugung herrschte, dass alle Scharen, die hineinströmten, nur Bundesgenossen seien, die das Wohlwollen für die Stadt herbeigeführt habe. 137 Das [302] waren nun jene Leute, welche, auch von der Empörung abgesehen, die Stadt später in das Verderben stürzen mussten, da ein unnützer und fauler Haufe schon zum voraus die für die ehrlichen Kämpfer in eben hinreichender Menge gesammelten Vorräthe gründlich aufzehrte und zu dem Kriege mit den Römern auch noch den Bürgerkrieg und die Hungersnoth daherbrachte.

138 (4.) Auch noch andere Räuberbanden kamen vom Lande in die Stadt hinein, welche im Bunde mit den noch schlimmeren Gesellen in der Stadt vor keiner Gewaltthat mehr zurückscheuten. 139 Ihre Verwegenheit beschränkte sich nämlich nicht darauf, bloß zu plündern und die Leute splitternackt auszuziehen, sondern sie griff sogar nach dem Mordstahl, und das nicht etwa bei Nacht oder verstohlen oder gegen gemeine Leute, sondern ganz ungescheut und am hellichten Tage, und zwar fieng man gerade bei den Vornehmsten an! 140 Zuerst nahmen sie einen gewissen Antipas fest, einen Mann von königlichem Geblüte, der in der Stadt ein solches Ansehen genoss, dass seinen Händen die Stadtcasse anvertraut war, und warfen ihn in das Gefängnis, 141 nach ihm einen gewissen Levi, einen Mann von hohem Rang, und den Sophas, den Sohn des Raguel, die beide königlicher Abstammung waren, und außerdem noch eine ganze Reihe von Männern, die im Lande als Leute von hervorragender Stellung galten. 142 Eine schreckliche Bestürzung herrschte darüber unter dem Volke, und nicht anders, als wenn schon der Feind die Stadt erstürmt hätte, suchte jeder nur mehr sein eigenes Leben zu schützen.

143 (5.) Die Räuber waren aber mit der bloßen Einkerkerung der Verhafteten nicht zufrieden, und hielten es auch für gefährlich, Männer von solchem Einfluss längere Zeit in dieser Weise in Gewahrsam zu halten, 144 da schon deren zahlreiche Sippschaft nach ihrer Meinung gar wohl in der Lage war, den Gefangenen beizuspringen, und nicht bloß das, sondern auch die Bürgerschaft selbst, empört über diese Ruchlosigkeit, gar leicht sich gegen sie erheben konnte.145 Sie beschlossen daher die Gefangenen zu beseitigen, und schickten einen gewissen Johannes, den größten Bluthund, den sie unter sich hatten, den Sohn der Dorkas oder Gazelle, wie er in der heimischen Sprache hieß, und mit ihm noch zehn andere nach dem Kerker. Mit gezückten Schwertern drangen sie dort ein und schlachteten die Gefangenen ab. 146 Natürlich mussten sie für eine solche Verruchtheit auch einen ebenbürtigen Vorwand erdichten, indem sie erklärten, die Verhafteten hätten wegen Auslieferung der Stadt Jerusalem mit den Römern Unterhandlungen gepflogen, und seien es ja nur Verräther der gemeinsamen Freiheit, die sie aus dem Wege geräumt hätten: kurz sie rühmten sich noch ihrer [303] Schandthaten, als wären sie damit die Wohlthäter und Retter der Stadt geworden.

147 (6.) Mit dem zunehmenden Kleinmuth und der Furcht des Volkes hielt aber die Tollheit der Räuber gleichen Schritt, und es sollte endlich soweit kommen, dass in ihrer Hand sogar die Wahlen der Hohenpriester lagen. 148 Sie ließen nämlich die Geschlechter, aus denen bisher die Hohenpriester abwechselnd ernannt wurden, nichts mehr gelten und setzten Leute ohne Namen und Priesteradel an ihre Stelle, um an ihnen Genossen ihrer Frevel zu haben. 149 Denn jene, welche ohne ihr Verdienst zur höchsten Auszeichnung gelangt waren, mussten nothwendig sich denjenigen gefügig erweisen, die ihnen dieselbe verschafft hatten. 150 Durch die mannigfachsten Intriguen und Klatschereien hetzten sie auch die Behörden gegeneinander, da offenbar ihr Weizen dann am besten blühen musste, wenn jene, die ihn allein noch hätten stören können, sich selbst in den Haaren lagen. Nachdem sie sich in den Ruchlosigkeiten gegen die Menschen über und über genug gethan, ließen sie endlich ihren Uebermuth auch noch am Göttlichen aus und betraten mit ihren blutbedeckten Füßen das Heiligthum.

151 (7.) Angefeuert nämlich von dem ältesten Hohenpriester Ananus, einem Mann von großer Klugheit, der wohl noch die Stadt aus diesen Wirren gerettet hätte, wenn er den Händen seiner tückischen Feinde entgangen wäre, nahm jetzt das Volk gegen die Räuber eine drohende Haltung an. Um nun auch der Volksbewegung trotzen zu können, machten sich die letzteren aus dem Tempel Gottes eine förmliche Festung, und es ward ihnen so das Heiligthum Schlupfwinkel und Zwingburg zugleich. 152 Ihre Gewaltthaten mischten sie noch mit Spott, der bekanntlich noch bitterer schmerzt, als der Schaden selbst: 153 so wollten sie jetzt den Kleinmuth des Volkes auf die härteste Probe stellen und ihre eigene Macht daran bemessen, dass sie den Versuch unternahmen, die Hohenpriester durch das Los zu bestimmen, während sonst, wie bemerkt, der Wechsel in diesem Amte nach dem Geschlechteradel erfolgte. 154 Sie deckten ihre List mit der Berufung auf ein altes Herkommen, da schon von Alters her, wie sie sagten, das Hohepriesterthum auf dem Wege des Loses vergeben worden sei. In Wirklichkeit handelte es sich ihnen um die Beseitigung eines begründeteren Rechtes und um einen neuen Anschlag auf die Herrschaft, da sie dann die Bestellung der obersten Behörden in ihrer Hand hatten.

155 (8.) Sie ließen nun eine einzige der hohenpriesterlichen Familien, namens Enjachim, herbeiholen und einen Hohenpriester auslosen. Zufällig traf das Los einen Mann, dessen Wahl, wie keine andere, [304] die volle Gesetzlosigkeit des Vorganges beleuchten musste, nämlich einen gewissen Phannias, den Sohn des Samuel aus dem Dorfe Aphtha, einen Menschen, der nicht bloß kein Hoherpriester aus dem Geschlechteradel war, sondern auch nicht einmal recht wusste, was denn eigentlich das Hohepriesterthum wäre: so verbauert war er! 156 Hatte man ihn doch gegen seinen Willen vom Lande herbeigeschleppt und ihn, wie man es auf der Theaterbühne macht, in eine ihm ganz fremde Rolle gesteckt, indem man ihm das heilige Kleid umhieng und von Zeit zu Zeit einsagte, was er jetzt zu thun habe! 157 So entsetzlich diese Gottlosigkeit, sie war den Räubern nur vergnüglicher Spott und Kinderspass – den anderen Priestern aber traten die Thränen in die Augen, wenn sie unthätig zusehen mussten, wie man mit dem Gesetze seinen Spott trieb, und seufzten tief auf über die Entweihung des heiligen Amtes.

158 (9.) Dieses ihr tolles Beginnen ließ sich aber das Volk nicht mehr gefallen: allgemein war die Bewegung, die Gewaltherrschaft zu brechen: 159 Die Männer von Ansehen, wie ein Gorion, Sohn des Josephus, und Symeon, des Gamaliel Sohn, redeten in den Volksversammlungen den breiten Massen, im Privatverkehr aber jedem einzelnen eifrig zu, endlich einmal die Todfeinde der Freiheit gebürend zu züchtigen und das Heiligthum von den Mordbuben zu säubern. 160 Auch die Hohenpriester, Jesus, Sohn des Gamala, und Ananus, Sohn des Ananus, die das meiste galten, ließen es an Vorwürfen gegen das saumselige Volk bei den Zusammenkünften nicht fehlen und steigerten die Bewegung gegen die „Eiferer“ (Zeloten). 161 Das war nämlich der Name, den sie sich selbst gaben, als ob ihr Eifer edlen Bestrebungen gegolten hätte, während sie in Wahrheit nur den größten Schlechtigkeiten nacheiferten und dieselben noch zu überbieten suchten.

162 (10.) Als nun wieder einmal das Volk bei einer solchen Versammlung war, und sich allgemein der Unwille über die Besetzung des Heiligthums, die vielen Plündereien und Meuchelmorde Luft machte, ohne dass man jedoch schon den Muth gefunden hätte, sich zur Rache dafür aufzuraffen, da man die Zeloten, wie es auch der Sachlage entsprach, für schwer angreifbar hielt, da trat Ananus in ihrer Mitte auf, erhob zuerst seinen Blick wiederholt zum Tempel, wobei sich seine Augen mit Thränen füllten, und begann dann folgendermaßen: 163 „Besser, fürwahr, wäre es für mich gewesen, früher zu sterben, ehe meine Augen das Haus Gottes mit so vielen und großen Freveln angefüllt und die unnahbaren heiligen Räume unter den blutbefleckten Sohlen von Mördern zerstampft sehen mussten. 164 Aber nein! Bekleidet mit den [305] hohenpriesterlichen Gewändern und geschmückt mit dem schönsten aller ehrwürdigen Titel, lebe ich noch und klammere mich noch an das Leben, anstatt wenigstens für die paar Tage meines Greisenalters einen ruhmreichen Tod mir einzutauschen! Stehe ich indes wirklich ganz allein, und ist es für mich her wie zur Wüste geworden, gut, so will ich doch wenigstens mein eigenes Leben ganz allein für meinen Gott hingeben. 165 Denn was soll mir auch das Leben unter einem Volke, das für sein eigenstes trauriges Schicksal schon ganz abgestumpft, und bei dem jedes Verständnis selbst für das Unheil, das ihm bereits am Nacken sitzt, völlig erloschen ist. Raubt man euch aus, so duldet ihr es, schlägt man euch, so schweigt ihr dazu und selbst für die Gemeuchelten habt ihr und wagt ihr keinen lauten Seufzer! O, der bitteren Tyrannei! 166 Doch was klage ich über die Tyrannen? Sind sie denn nicht von euch selbst und eurer Lammsgeduld groß gezogen worden? 167 Habt ihr sie denn nicht damals, als sich die ersten zusammenrotteten, und ihre Zahl noch geringe war, voll Nachsicht gewähren lassen und so durch euer Stillschweigen selbst zu ihrer Vermehrung beigetragen? Habt ihr nicht auch, wie sie sich ihre Hände zu wappnen begannen, ruhig zugesehen, um so das Schwert der Räuber euch an die eigene Kehle zu setzen, 168 anstatt schon ihren ersten Anlauf zu unterdrücken, als sie zunächst nur mit Schmähungen sich an eurem Fleisch und Blut vergriffen? Ihr aber habt euch darum gar nicht gekümmert und so die Schurken auch noch zum Rauben und Stehlen förmlich herausgefordert und kein Wort dazu gesagt, als sie selbst ganze Häuser zu verwüsten anfiengen. Ganz natürlich, dass sie dann auch zur Verhaftung der Eigenthümer schritten, und wieder war niemand zum Beistande da, als man die Verhafteten mitten durch die Stadt schleppte! 169 Man hat sie, die von euch so schmählich preisgegebenen Männer, den Kerkerqualen überantwortet, ich will hier nicht hervorheben, wie viele und was für Männer, sondern nur was das ärgste ist, ohne alle Anklage, ohne Untersuchung. Dennoch ist kein Mensch den Gefangenen zu Hilfe gekommen. Es war vorauszusehen, dass wir dieselben dann auch sterben sehen mussten. 170 Ja, wir haben auch hier zugesehen, wie eine Herde vernunftloser Thiere zuschaut, wenn aus ihr das stärkste, das ja stets das Opfer sein muss, herausgerissen wird, und keiner von uns hat einen Laut von sich gegeben, geschweige, dass er eine Faust gerührt hätte! 171 Traget es also jetzt nur, traget es, wenn ihr das Heiligthum niedergetreten seht, und nachdem ihr Stufe um Stufe den Ruchlosen zu ihren Freveln selbst aufgebaut habt, dürft ihr euch jetzt ihre Obmacht nicht schwer fallen lassen. Sicherlich wären sie ja jetzt noch weiter gestiegen, wenn [306] es noch etwas Erhabeneres zum Zerstören für sie gäbe, als das Heiligthum! So haben sie nun den festesten Punkt der Stadt in ihrer Gewalt – 172 ich meine den Tempel, der sich nunmehr den Namen einer „Burg“ oder „Festung“ gefallen lassen muss. Jetzt, nachdem ihr eine so ungeheuerliche Tyrannei auch noch in einer Trutzburg in eurer Mitte habt und eure Feinde ober eurem Haupte sehen müsst, was berathschlagt ihr noch und womit wollt ihr denn noch länger euren Hoffnungen schmeicheln? 173 Wartet ihr etwa auf die Römer, damit diese unserem Heiligthum Hilfe bringen? Also steht es so mit unserer Stadt, und ist es so weit schon mit uns gekommen, dass sich sogar die Feinde unserer erbarmen müssen? 174 Ihr dreimal Elenden, werdet ihr euch nicht endlich aufraffen und, was bekanntlich selbst die wilden Thiere thun, auf die Hiebe euch umwenden, um euch eurer Peiniger zu erwehren? Ueberkommt euch denn keine Erinnerung mehr an das, was jeder einzelne von euch für sich allein schon erlitten hat, und schweben die ausgestandenen Leiden wirklich nicht mehr vor euren Augen, um die ganze Schärfe eurer Rache gegen sie herauszufordern? 175 So ist denn bei euch gänzlich erstorben das heiligste und natürlichste Gefühl, die Liebe zur Freiheit? Sclavenseelen und knechtische Kriecher sind wir geworden, als hätten wir den gekrümmten Rücken schon von unseren Ahnen her erhalten. 176 Doch nein! jene haben vielmehr zahlreiche und schwere Kämpfe für ihre Unabhängigkeit durchgefochten und haben weder dem Joche der ägyptischen noch der medischen Herrschaft sich gebeugt, um ja von Niemand Befehle annehmen zu müssen. 177 Aber wozu auf die Vorfahren zurückgreifen? Was hat denn doch nur der gegenwärtige Krieg mit den Römern, bei dem ich nicht erörten will, ob er vortheilhaft und nützlich oder das Gegentheil sei, was hat denn derselbe nur, sage ich, für einen Beweggrund? Ist es nicht die Freiheit? 178 Sonach wollten wir also zwar die Herren der Welt nicht mehr dulden, wohl aber die Tyrannei unserer Stammesgenossen uns gefallen lassen. 179 Es dürfte indes verzeihlich sein, wenn Jemand einem auswärtigen Herrn gehorcht, weil ihn eben einmal sein Glücksstern verlassen hat, aber dem Schurken im eigenen Hause den Platz räumen, das ist gemein, weil selbstgewollt. 180 Nachdem ich schon gelegentlich der Römer gedacht habe, so will ich offen vor euch aussprechen, was mir soeben unter der Rede eingefallen ist und meinen Geist lebhaft in Anspruch genommen hat: dass wir nämlich, auch wenn wir in ihre Hand fallen sollten – möchte ich hier ein falscher Prophet sein! – jedenfalls nichts schlimmeres mehr zu gewärtigen haben, als was diese Leute uns angethan haben. 181 Oder wie? ist es nicht ein Schauspiel, das uns die Thränen auspressen muss, wenn wir im Heilig- [307] thum sogar Weihgeschenke erblicken, welche die Hand der Römer gespendet hat, während man ebendort in den Händen unserer Stammgenossen die Beutestücke schauen muss, die sie der Blüte der Hauptstadt geraubt und mit deren Blute bespritzt haben, wenn wir die Leichen gemordeter Männer schauen, deren selbst die Römer im Falle einer Erstürmung geschont haben würden; 182 ja sehen zu müssen, wie die Römer niemals die Schranke des Heidenvorhofes überschritten und nicht eine unserer heiligen Gewohnheiten bei Seite gesetzt, vielmehr sich begnügt haben, von weitem auf die Mauern des Tempels mit einem geheimen Schauer hinzusehen, 183 während gewisse Leute, die auf diesem unserem Boden das Licht der Welt erblickt haben, die unter dem Einfluss unserer Sitte auferzogen worden sind und den Namen „Juden“ führen, im Herzen des Heiligthums herumstampfen, die Hände noch bedeckt mit dem warmen Blute ihrer gemordeten Brüder! 184 Sollte da jemandem noch bange sein vor einem bloßen Kampf nach außen und vor Leuten, die im Vergleich zu den unserigen tausendmal gemäßigter gegen uns sind? Denn, wenn wir ehrlich die Dinge beim rechten Namen nennen sollen, so könnte man wohl sogar in den Römern Schirmer unserer Gesetze, in den Einheimischen dagegen ihre wahren Feinde finden! 185 Uebrigens, glaube ich, seid ihr alle schon von Hause aus mit der vollen Ueberzeugung hiehergekommen, dass diese heimlichen Feinde unserer Freiheit von Grund aus verworfen seien, und dass man gar keine Strafe gegen sie ausdenken könne, welche da ihren Schandthaten angemessen wäre, wie ich auch glaube, dass euch schon vor meiner Ansprache die Unthaten, die ihr selbst von diesen Bösewichtern erfahren habt, aufs höchste empört haben. 186 Vielleicht aber flösst doch den meisten aus euch ihre Masse und Frechheit, wie auch ihre vortheilhafte Stellung Schrecken ein. 187 Wie indes diese Vortheile nur durch eure Saumseligkeit den Feinden erwachsen sind, so werden sie ebenso gewiss auch von jetzt an noch immer zunehmen, falls ihr noch länger die Entscheidung hinausschiebt. Denn was ihre Masse anbelangt, so schwillt dieselbe von Tag zu Tag, da jeder Taugenichts zu seinesgleichen überzulaufen trachtet, 188 das Feuer ihres Uebermuthes aber muss schon der eine Umstand schüren, dass sie bis zur Stunde gar keinem Widerstand begegnet sind, und in Betreff der Stellung könnte es wohl auch geschehen, dass sie, einmal dort oben, sich auch dort planmäßig verschanzen, wenn wir ihnen die Zeit dazu lassen. 189 Gebet euch andererseits der vollen Ueberzeugung hin, dass, wenn wir den Sturm auf das Gesindel wagen, das schlechte Gewissen ihren Arm lähmen, und dass den Vortheil der Höhe kluge Berechnung unsererseits wettmachen werde. 190 Vielleicht kehrt sogar die [308] Gottheit für die Schmach, die man ihr angethan, die Geschosse gegen die Schützen, so dass die Gottlosen von den eigenen Pfeilen durchbohrt werden. Wir brauchen uns nur sehen zu lassen, und ihre Macht ist gebrochen! 191 Sollte es aber dabei nicht ohne alle Gefahr abgehen, so ist es gewiss etwas schönes, an den heiligen Thoren zu sterben und sein Leben, diesmal freilich nicht für Weib und Kind, wohl aber für Gott selbst und seine heilige Stätte hinopfern zu dürfen. 192 Was aber meine Person betrifft, so werde ich überall mit Rath und That euch an die Hand gehen, und von meiner Seite soll keine Maßregel verabsäumt werden, die zu eurem Schutze dienen kann, noch sollet ihr je bemerken, dass ich selbst mein eigen Leib und Leben schonen werde.“

193 (11.) Mit diesen Worten suchte Ananus die Menge zum Kampfe gegen die Zeloten zu begeistern. Er täuschte sich übrigens durchaus nicht darüber, dass dieselben schon jetzt, dank ihrer Masse, ihrer Jugendkraft und Entschlossenheit, am allermeisten aber gerade infolge ihres Schuldbewusstseins fast unüberwindlich seien. Denn dass Leute, welche für das, was sie verübt, keinen Pardon mehr zu hoffen hatten, es bis zum äußersten kommen lassen und sich nie ergeben würden, war ihm klar. 194 Dennoch war sein Entschluss gefasst, lieber alles mögliche zu leiden, als bei einem solchen Aufruhr aller Elemente das Staatsruder sich selbst zu überlassen. 195 Das Volk verlangte jetzt stürmisch, gegen das von Ananus gezeichnete Gesindel geführt zu werden, und jeder wollte der erste sein, um der Gefahr die Stirne zu bieten.

196 (12.) Während aber Ananus die Kampffähigen aus dem Volke noch aussuchte und ordnete, hatten schon die Zeloten durch ihre Spione, die ihnen alle Vorgänge unter dem Volke hinterbrachten, von dem beabsichtigten Angriffe Wind bekommen. Höchst ergrimmt darüber, stürzten sie sofort, theils in dichten Massen, theils auch in kleinen Banden aus dem Heiligthum heraus und stießen jeden, der ihnen in den Wurf kam, schonungslos nieder. 197 Rasch ward nun von Ananus die Bürgerpartei gesammelt, die allerdings an Zahl den Zeloten überlegen war, aber dafür in der Bewaffnung und in der Schulung ihrer Massen hinter denselben zurückstand. 198 Doch ergänzte die Streitbegier, was beiden Parteien noch fehlen mochte. Die Stadtbevölkerung hatte sich mit Ingrimm, der da stärker ist, als jegliches Rüstzeug, die Räuber im Tempel aber mit der Verzweiflung, die keinen Gegner mehr zählt, gewappnet, 199 und während die einen das Leben in der Stadt für unerträglich hielten, solange sie nicht das Raubgesindel daraus vertilgt hätten, wussten die Zeloten ihrerseits, dass ihnen im Falle einer Niederlage wohl keine Marter erspart bleiben würde.

[309] 200 Beherrscht von diesen Gefühlen, stürzte man gegeneinander. Zuerst begann man in der Stadt und vor dem Tempel sich gegenseitig mit Steinen zu bewerfen und mit Wurfspießen zu plänkeln. Wich ein Theil, so griff der Sieger auch zum Schwerte; es gab ein grässlich Morden beiderseits und zahlreiche Verwundungen. 201 Die Leute aus dem Volke wurden von ihren Angehörigen in ihre Häuser getragen: die verwundeten Zeloten kamen in den Tempel hinauf, wo ihr Blut den heiligen Boden bedeckte, oder, was wohl allein richtig gesagt ist, das Heiligthum befleckte. 202 Bei den Zusammenstößen waren immer die ausfallenden Räuber im Vortheile: aber die Volkspartei wurde dadurch nur noch erbitterter und zog immermehr Kämpfer an sich: man schimpfte auf jene, die zurückwichen, und die von hinten nachdrängenden Angreifer machten den Fliehenden bald keinen Platz mehr, so dass schließlich das Volk in seiner ganzen Masse auf den Feind drückte. 203 Letzterer konnte dem Anprall nicht länger widerstehen und zog sich allmählich in den Tempel zurück, wobei aber nun auch die Leute des Ananus mit ihm eindrangen. 204 Als sich das Gesindel von der ersten Mauer abgedrängt sah, ward es von einem panischen Schrecken ergriffen und flüchtete in den inneren Tempelraum, dessen Thore es schleunig zuschlug. 205 Ananus wollte vorderhand noch nicht den Angriff auf die Thore des Heiligthums eröffnen, zumal auch die Räuber von der Höhe aus einen Hagel von Geschossen unterhielten. Er hätte es selbst im Falle des Gelingens für unrecht gehalten, das Volk ohne vorgängige Reinigung in den Tempel hineinzuführen. 206 Er ließ vielmehr aus der ganzen Menge bei 6000 Bewaffnete auslosen und postierte sie als Wachen auf die Hallen, 207 die dann wieder von anderen abgelöst wurden. Jeder musste, wenn die Reihe an ihn kam, persönlich zur Wache erscheinen: dagegen wurden viele Rangpersonen von den obersten Behörden vom Wachdienst losgezählt, unter der Bedingung, dass sie ärmere Leute gegen Entgelt für sich aufnahmen und auf die Wache schickten.

208 (13.) Alle diese Leute miteinander sollte aber eben jener Johannes ins Verderben stürzen, von dessen Flucht aus Gischala wir früher erzählt haben. Ein äußerst verschlagener und von glühender Herrschsucht beseelter Mann, hatte er es schon von langer Hand auf das Staatsruder abgesehen. 209 Damals musste er natürlich den Volksfreund spielen und befand sich immer in der Gesellschaft des Ananus bei Tag sowohl, wo derselbe mit den Häuptern Berathungen pflog, als auch bei der Nacht, wenn er die Wachen abgieng; er setzte aber regelmäßig die Zeloten von den geheimsten Abmachungen in Kenntnis, und alle Pläne des Volkes waren selbst, ehe sie noch reiflich erwogen waren, [310] auch schon bei den Feinden durch seinen Verrath bekannt. 210 Um aber gar keinen Verdacht gegen sich aufkommen zu lassen, ergieng er sich in maßlosen Schmeicheleien gegen Ananus und die Vorsteher des Volkes. 211 Seine Liebesmühe erzielte indes das gerade Gegentheil, da seine plumpen Complimente den Verdacht gegen ihn erst recht herausforderten, und auch der Umstand, dass er als ungebetener Gast sich überall einstellte, sein verrätherisches Spiel mit den geheimen Beschlüssen halb und halb erkennen ließ. 212 Denn man merkte gar wohl, dass die Feinde mit allem, was beim Volke berathen wurde, Fühlung hatten, und keine Persönlichkeit musste andererseits den Verdacht eines Verrathes so stark nahelegen, als gerade die des Johannes. 213 Sich den Mann vom Halse zu schaffen, gieng nicht leicht an, da er schon wegen seiner Bosheit zu fürchten war und überdies zu den Vornehmeren zählte; auch hatte er bei den Mitgliedern des großen Rathes einen starken Anhang. So beschloss man denn, ihn durch einen Eid zur Bürgschaft für seine aufrichtige Anhänglichkeit zu verhalten. 214 Ohneweiters leistete Johannes diesen Schwur, nämlich die Wohlfahrt des Volkes zu befördern und weder einen Plan noch einen Vorgang den Feinden zu verrathen und mit Rath und That an der Vernichtung der Bedränger mitzuarbeiten. 215 Von jetzt an ließ ihn die Partei des Ananus im Vertrauen auf diesen Treueid ganz unbedenklich zu jeder Berathung zu: schickte man ihn doch sogar zu den Zeloten hinein, um wegen Beilegung des Bürgerkrieges zu unterhandeln! Denn die Volkspartei wollte durchaus, was an ihr lag, jede Befleckung des Tempels verhindern, wie auch, dass kein Stammgenosse daselbst sein Leben lasse.

216 (14.) Johannes gieng nun zu den Zeloten hinein, stellte sich in ihre Mitte und hielt mit einer Unverfrorenheit, gleich als ob er den Schwur für seine Ergebenheit in die Hände der Zeloten abgelegt hätte und nicht das Gegentheil, folgende Rede: „Oft schon habe ich um euretwillen Gefahren ausgestanden, um euch alle geheimen Pläne, welche die Partei des Ananus gegen euch ausgeheckt, aufzudecken. 217 Diesmal aber spielen wir miteinander den letzten Wurf, wenn uns nicht eine wunderbare Hilfe wird. 218 Ananus zaudert nämlich keinen Augenblick länger und hat bereits unter Zustimmung des bethörten Volkes Gesandte an Vespasian abgeschickt, mit der Bitte, eiligst vor Jerusalem zu erscheinen und die Stadt zu besetzen. Er hat andererseits auch, aber nur um euch eine Falle zu legen, eine allgemeine Reinigung auf den morgigen Tag angeordnet, damit das Volk entweder unter dem Vorwande des Gottesdienstes zu euch hereinkommen oder mit offener Gewalt sich den Eintritt erzwingen und euch erdrücken [311] sollte. 219 Ich sehe aber wirklich nicht ein, wie lange ihr die Absperrung durch die Wachen ertragen, oder gegen eine solche Uebermacht im Kampfe euch halten wollet. Es ist nun eine göttliche Fügung“, bemerkte Johannes weiter, „dass gerade ich als Abgesandter zu euch hereingeschickt worden bin, um euch zur Beilegung der Feindseligkeiten zu bestimmen: es ist das nämlich nur eine Vorspiegelung von Seite des Ananus, um euch zuerst wehrlos zu machen und dann zu überfallen. 220 Es bleibt uns also nur die Wahl, entweder die Wachen um Schonung anzuflehen, damit wir wenigstens mit dem Leben davonkommen, oder aber uns Hilfe von auswärts zu verschaffen. 221 Sollte sich übrigens jemand aus euch mit der Hoffnung auf Begnadigung für den Fall unserer Niederlage schmeicheln, so müsste ein solcher entweder auf seine eigenen Streiche ganz vergessen haben, oder in der Meinung leben, dass auf die Reue der Uebelthäter hin auf der Stelle auch die Geschädigten schon alles verziehen haben müssten. 222 Indes sieht man leider allzuoft bei denen, die uns Unrecht gethan haben, selbst ihre Reue nur mit großem Missbehagen: andererseits wächst auch in den Herzen der Beleidigten der Ingrimm mit der Macht, die ihn befriedigen kann. 223 Zum mindesten werden euch immer die Freunde und Verwandten der Ermordeten auf der Ferse sein, nicht zu vergessen das Volk, das über die Unterdrückung von Recht und Gesetz ganz empört ist, und von dem auch jener Theil, der vielleicht mit euch noch Mitleid hätte, hinter seiner erbitterten Mehrheit ganz zurücktreten muss.“

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