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Juedischer Krieg/Buch IV 4-7

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Juedischer Krieg
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[311]
Viertes Capitel.
Die Idumäer werden von den Zeloten nach Jerusalem gerufen. Rede des Hohenpriesters Jesus. Die Zeloten öffnen des Nachts die Thore.

224 (1.) Durch dieses dick aufgetragene Schauergemälde hatte Johannes alle miteinander ins Bockshorn gejagt. Was er mit der auswärtigen Hilfe meine, hatte er sich noch nicht unverblümt zu sagen getraut, er wollte aber damit die Idumäer andeuten. Um aber auch die Führer der Zeloten noch insbesondere zu reizen, verleumdete er den Ananus als einen Wütherich und erzählte, wie er gerade gegen die Führer ganz ausnehmende Drohungen fallen ließe. 225 Es waren das Eleazar, der Sohn des Simon, von dem man ja überzeugt war, dass er unter den Zeloten das meiste Geschick besaß, findige Pläne zu entwerfen und die Entwürfe auch ins Werk zu setzen; dann Zacharias, Sohn des Amphikalus, beide aus priesterlichem Geschlechte. 226 Als nun diese Männer nebst den allgemeinen auch die gegen sie speciell gerichteten Drohungen erfahren hatten, ferner auch, wie die Partei des Ananus, um sich der Alleinherrschaft zu bemächtigen, die Römer zu Hilfe gerufen hätte – [312] die zweite Lüge, die Johannes vorgebracht – waren sie lange Zeit rathlos, was sie denn bei der äußerst gedrängten Zeit, auf die sie angewiesen waren, anfangen sollten. 227 Denn, wie sie wussten, stand das Volk bereit, demnächst zum Angriff auf sie überzugehen, und hatte die Raschheit des feindlichen Planes ihnen alle Hilfe von außen abgeschnitten. Denn längst mussten sie schon ausgelitten haben, ehe nur einem ihrer Bundesgenossen etwas zu Ohren gekommen. 228 Dennoch wurde der Beschluss gefasst, die Idumäer herbeizurufen. Man setzte einen kurzen Brief auf, des Inhaltes, wie Ananus das Volk im Sacke habe und die Hauptstadt den Römern in die Hände spielen wolle, während die Zeloten dafür, dass sie für die Erhaltung der Freiheit von seiner Partei abgefallen seien, von ihr im Tempel jetzt eingeschlossen gehalten würden: 229 nur noch eine Spanne Zeit entscheide über ihr Schicksal! Kämen die Idumäer nicht schleunigst zu Hilfe, so würden die Zeloten früher in die Hände des Ananus und ihrer Feinde, die Stadt aber in die Gewalt der Römer fallen. Das meiste sollten übrigens die Boten nach ihrer Weisung mündlich an die Häupter der Idumäer ausrichten. 230 Für den Botendienst suchte man zwei entschlossene Männer aus, die eine gewandte, aber auch diplomatische Zunge, und was in diesem Falle von noch größerem Nutzen war, ganz ausgezeichnet schnelle Beine hatten. 231 Denn, dass die Idumäer, ein stürmisches und wildes Volk, das es stets auf Unruhen abgesehen und an Umwälzungen seine helle Freude hat, dem eine kleine Schmeichelei und Bitte schon die Waffen in die Hand drückt, und das sich zum Kampfe drängt, als gienge es zu einem Feste, dass diese Leute auf der Stelle dem Rufe Folge leisten würden, davon waren sie überzeugt. 232 Es kam also bei diesem Botendienst nur auf die Schnelligkeit an, und da in dieser Beziehung die Abgesandten Alles aufboten, was an ihrem Bemühen lag – beide führten den Namen Ananias – so waren sie denn auch bald zur Stelle und traten vor die Häupter der Idumäer.

233 (2.) Als diese den Brief gelesen und die mündlichen Erklärungen der Ueberbringer vernommen, waren sie vor Schrecken außer sich und liefen wie rasend bei ihrem Volke herum, um den Heerbann aufzubieten. 234 Schon vor der festgesetzten Zeit war das Kriegsvolk beisammen; wer nur immer konnte, hatte mit einem wahren Feuereifer die Waffen zur Befreiung der Hauptstadt ergriffen. 235 Nachdem sich die Massen geordnet, zogen sie in einer Stärke von 20.000 Mann unter vier Anführern, Johannes und Jakobus, Söhne des Sosa, ferner Simon, Sohn des Kathla, und Phineas, Sohn des Klusoth, vor Jerusalem.

236 (3.) Hatten nun von dem Entweichen der Boten weder Ananus noch die Wachen etwas bemerkt, so war das keineswegs mehr bei [313] dem Anmarsche der Idumäer der Fall. Ananus hatte davon rechtzeitig erfahren und ließ ihnen die Thore versperren, wie auch die Mauern sorgfältig bewachen. 237 Er war jedoch nicht willens, sie um jeden Preis als Feinde zu behandeln, sondern versuchte es vor dem Waffengange, auf dem Wege der Ueberzeugung auf sie einzuwirken. 238 Zu diesem Zwecke trat der älteste Hohepriester nach Ananus, namens Jesus, auf die Plattform des Thurmes, der den Idumäern gegenüber lag, und hielt folgende Ansprache: „So viele und mannigfache Wirren auch unsere arme Stadt schon heimgesucht haben, so möchte doch an ihrem Unglück kein Umstand so sehr mein Staunen erregen, wie der, dass selbst das Unvermuthetste als Bundesgenosse des Bösen sich einstellt: 239 ich meine damit eure Anwesenheit, da ihr den elendesten Schurken gegen uns mit einem solchen Eifer beigesprungen seid, den man von euch nicht einmal in dem Falle hätte verlangen können, wenn euch die Hauptstadt selbst gegen die Barbaren zu Hilfe gerufen hätte. 240 Würde ich freilich eure Reihen aus Leuten von der Sorte jener, die euch herbeigerufen haben, zusammengesetzt sehen, so könnte mir euer Aufzug nicht seltsam vorkommen, da nichts so sehr das gegenseitige Wohlwollen begründet, wie die Verwandschaft der Sitten. So aber wird sich jeder eurer Freunde, wenn man sie nacheinander näher beleuchtet, als ein Subject entpuppen, das tausendmal den Tod verdient hätte: 241 denn es ist der Abschaum und der Auswurf des ganzen Landes, der, nachdem er sein eigen Hab' und Gut verlumpt und eine Schule der tollsten Schlechtigkeiten in den Dörfern und Städten der Umgebung durchgemacht, endlich ganz unvermerkt die heilige Stadt selbst überschwemmt hat; 242 ein Raubgesindel, das zur Krönung seiner Ruchlosigkeiten selbst den geweihten Boden befleckt hat, und das sich, wie man es jetzt selbst sehen kann, ungescheut mitten im Heiligthum toll und voll sauft und von der Beute der Ermordeten seinen unersättlichen Wanst füllt! 243 Sieht man sich dagegen wieder euer Kriegsvolk und seinen ehrlichen Waffenschmuck an, so muss es den Eindruck machen, als hätten euch die Bewohner der Hauptstadt nach einem feierlichen Beschlusse als Bundesgenossen gegen fremde Eroberer herbeigerufen. Wie soll man es also anders nennen, denn eine Ironie des Schicksals, wenn man sehen muss, wie ein ganzes Volk mit abgefeimten Spitzbuben Schulter an Schulter kämpfen will? 244 Lange schon sinne ich hin und her, was euch denn doch in aller Welt und zwar so schnell auf die Beine bringen konnte. Denn ohne den triftigsten Grund, so sagte ich mir, würdet ihr gewiss nicht für Räuber und gegen ein stammverwandtes Volk zur Wehr und Waffe gegriffen haben. 245 Doch – wir haben von Römern und von Verrath etwas [314] gehört – jetzt eben haben ja einige von euch so etwas im Lärme hervorgestoßen, wie z. B. dass sie zur Befreiung der Hauptstadt da seien – ein Wort, welches uns das Lügengenie dieser Ruchlosen noch staunenswerter erscheinen lässt, als es ihre verwegensten Thaten sein könnten. 246 Fürwahr, man hätte ja Männer, denen die Freiheitsliebe, sozusagen, im Blute liegt, und die darum äußerst rasch bei der Hand sind, einem Feinde von außen mit den Waffen entgegenzutreten, nicht anders füglich gegen uns aufhetzen können, als dadurch, dass man von einem Verrathe an der heißgeliebten Freiheit faselte. 247 Aber eure Sache wäre es wenigstens, sowohl die Personen der Verleumder als diejenigen, gegen welche die Lüge geschleudert wird, euch näher anzusehen und die Wahrheit nicht aus erlogenen Phrasen, sondern aus allgemein zugänglichen Thatsachen zu erschließen. 248 Was sollte uns denn auch angefochten haben, dass wir uns selbst gerade jetzt an die Römer verkaufen sollten, da wir doch die freie Wahl hatten, sei es, vor aller Anfang überhaupt nicht abzufallen, sei es, nach geschehenem Abfall alsbald uns wieder den Römern zu nähern, zu einer Zeit, wohl gemerkt, wo noch das Land ringsum nicht verwüstet war? 249 Gegenwärtig ist es ja für uns selbst mit dem besten Willen nicht mehr leicht, eine friedliche Lösung zu finden, da die Römer die Niederwerfung von Galiläa übermüthig gemacht hat, und eine schmeichelnde Annäherung von unserer Seite in dem Augenblick, da sie uns schon so nahe sind, uns eine Schmach eintragen würde, bitterer als der Tod. 250 Ich für meinen Theil wollte freilich lieber den Frieden als den Tod; ist es aber einmal zum Kriege gekommen, und der Zusammenstoß geschehen, so geht mir ein ruhmvoller Tod über das Leben eines Kriegsgefangenen. 251 Uebrigens, was will man denn eigentlich behaupten? dass wir etwa, die Vorsteher des Volkes, heimlich zu den Römern geschickt haben? oder dass auch das Volk selbst diesem Beschlusse allgemein beigetreten ist? 252 Sind es nur wir gewesen, dann heraus mit den Namen der Freunde, welche jene Gesandschaft übernommen haben, heraus mit den Namen der Diener, welche beim Verrathe Handlangerdienste geleistet! Hat man Jemand beim Hingehen ertappt? oder bei der Rückkehr aufgegriffen? Ist man in den Besitz von Schriftstücken gelangt? 253 Wie hätten wir doch soviele Bürger, mit denen wir stündlich zu verkehren haben, überhaupt täuschen können? Den wenigen aber, die noch dazu bewacht werden, und die nicht einmal in die Stadt vom Tempel herabkommen dürfen, denen allein soll natürlich das, was sich heimlich im Lande vorbereitete, bekannt geworden sein?! 254 Und jetzt erst haben sie das erfahren, aus dem Grunde, weil sie gerade jetzt für ihre Unthaten den gerechten Lohn empfangen sollten. [315] Solange sie sich noch sicher fühlten, hat man auf keinen aus uns den Verdacht des Verrathes geworfen! 255 Wollen sie andererseits die Schuld auf das ganze Volk wälzen, so konnte die Berathung doch wohl nur eine öffentliche sein, und war die Versammlung Jedermann zugänglich. Dann hätte aber das Gerücht davon, weil die Sache ganz öffentlich war, schneller, als die jetzt erfolgte Botschaft, zu euch dringen müssen. Was nun aber weiter? 256 Mussten denn jene, die für den Frieden stimmten, nicht auch Gesandte abschicken? Und wer ist denn dazu gewählt worden, wenn man fragen darf? – 257 Doch, es ist ja das Ganze nur eine Erfindung von Leuten, die dem Tode auskommen und die schon dräuende Rache vereiteln möchten. Denn, wenn wirklich die Stadt durch das Schicksal dazu bestimmt ist, verrathen zu werden, so könnte auch dieser Schurkenstreich nur jenen Verleumdern vorbehalten sein, deren Schandthaten nur noch eine Erbärmlichkeit abgeht, der Verrath. 258 Da ihr aber nun einmal mit den Waffen in der Hand vor uns steht, so wäre es eure Pflicht, und würdet ihr der Gerechtigkeit den schönsten Dienst erweisen, wenn ihr der Hauptstadt zu ihrer Vertheidigung euren Arm leihen und mithelfen würdet an der Aushebung der Tyrannenbrut, die nach Unterdrückung der Gerichte alle Gesetze mit Füßen getreten, Recht und Urtheil auf die Spitze ihrer Schwerter gestellt hat. 259 Haben sie doch erlauchte Männer mitten vom Marktplatz ohne eine Anklage weggeschleppt, mit Fesseln beladen und endlich, ohne sich an ihr Wehgeschrei oder Flehen zu kehren, hingeschlachtet. 260 Es steht euch frei, allerdings nicht als Feinde, in die Stadt hereinzukommen und euch selbst die Beweise für meine Behauptungen anzuschauen: die von den Plünderern verwüsteten Häuser, die Frauen und Kinder der Ermordeten in schwarzen Trauerkleidern, Schluchzen und Weheklagen in der ganzen Stadt; denn es gibt ja niemand unter uns, der nicht den Schurken in die Quere gekommen ist und ihre Streiche verkostet hat. 261 So groß ist der Abgrund, in den ihre Tollheit gestürzt ist, dass sie nach dem Lande und den übrigen Städten auch das Antlitz, sozusagen, und das Haupt der ganzen Nation, Jerusalem, und nach Jerusalem auch noch das Heiligthum selbst mit ihrem räuberischen Frevelmuthe besudelt haben. 262 Der Tempel ist ihnen Kriegslager und Schlupfwinkel, wie auch das Arsenal geworden, wo sie ihre Waffen gegen uns schmieden, und so wird diese von der ganzen Welt verehrte und selbst den an den Grenzen des Erdkreises wohnenden fremden Völkern, wenigstens vom Hörensagen, ehrwürdige Stätte von diesen landesgebornen Bestien zertreten. 263 Bereits in einer verzweifelten Lage, machen sie sich noch den Scherz, Volk gegen Volk und eine Stadt gegen die andere aufzuhetzen und [316] den Arm der Nation zum Stoß gegen das eigene Herz zu waffnen. 264 Anstatt hier mitzuthun, wäre es eure schönste und heiligste Aufgabe, wie ich gesagt habe, uns bei der Vertilgung der ruchlosen Gesellen zu helfen und gerade für diese Hinterlist sie zu züchtigen, dass sie so keck waren, euch noch als Bundesgenossen herbeizurufen, anstatt, wie billig, vor eurem Racheschwert zu zittern. 265 Wenn ihr aber aus Rücksicht auf diese Menschen, die, so schlecht sie auch sonst sein mögen, sich doch immerhin eurem Schutze einmal anvertraut haben, nicht soweit gehen wollt, gut, so steht doch sicher nichts im Wege, dass ihr nach Niederlegung der Waffen als Stammesgenossen die Stadt betretet und die Rolle von Männern übernehmet, die weder Bundesgenossen noch Feinde, sondern nur Richter sind. 266 Dabei dürft ihr allerdings nicht aus dem Auge lassen, was für ein großer Vorzug ihnen damit allein schon eingeräumt wird, dass sie überhaupt noch das Recht erhalten, sich für bereits einbekannte und zwar ungeheure Verbrechen vor eurem Richterstuhl zu verantworten, sie, die ganz unbescholtenen Männern nicht einmal ein Wort zu ihrer Rechtfertigung gelassen haben. Doch mögen sie immerhin diese Vergünstigung aus eurem Erscheinen ziehen! 267 Wenn ihr aber weder unsere Sache unterstützen, noch auch Richter über sie sein wollt, so gibt es noch ein drittes: lasset beide Parteien in Ruhe und tretet weder auf unsere Wunden, noch leihet euren Beistand den Verräthern der Hauptstadt. 268 Denn, wenn ihr schon einen so starken Verdacht heget, es könnten einige von uns sich mit den Römern verständigt haben, so liegt es ja in eurer Macht, die Zugänge genau überwachen zu lassen: sollte sich dann wirklich eine der beregten Spitzbübereien auf unserer Seite als wahr herausstellen, so könnt ihr dann noch immerhin kommen, um die Hauptstadt zu besetzen und den aufgegriffenen Verräthern den Process zu machen. Auf keinen Fall könnte der Feind vor euch einen Vorsprung gewinnen, da ihr der Stadt am nächsten seid. 269 Sollte endlich nichts von all' dem euch vernünftig oder billig vorkommen, so dürft ihr euch auch nicht darüber wundern, dass die Thore solange in den Riegeln stecken, als ihr in Wehr und Waffen steckt.“

270 (4.) Soweit die Rede des Jesus, der das idumäische Kriegsvolk nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hatte: im Gegentheil, es war wüthend darüber, dass es den Eingang nicht frei gefunden hatte, und auch die Führer waren höchst entrüstet über die Bemerkung vom Waffenniederlegen, da ihnen die Aufforderung zum Niederlegen der Waffen gleichbedeutend war mit dem Ruf: Ergebt euch. 271 Da trat Simon, der Sohn des Kathla, einer der Anführer, nachdem es ihm mit Mühe gelungen war, den wirren Lärm seiner Landsleute zum [317] Schweigen zu bringen, auf Hörweite an die Hohenpriester heran und erwiderte ihnen: 272 „Es wundert mich jetzt nicht mehr, dass man die Vorkämpfer für die Freiheit im Tempel eingeschlossen hält, nachdem gewisse Leute sogar dem ganzen Volke schon die gemeinsame Hauptstadt versperren 273 und in dem Augenblick, da sie sich zum Empfange der Römer rüsten, möglicherweise sogar schon die Thore mit Kränzen behängt haben, mit den Idumäern nur von den Festungsthürmen aus reden und ihnen gebieterisch bedeuten, die zum Schutze der Freiheit erhobenen Waffen wegzuwerfen. 274 Während sie aber auf der einen Seite den eigenen Stammgenossen nicht einmal soweit trauen, dass sie mit ihnen die Hauptstadt bewachen dürfen, machen sie dieselben zu Richtern ihres Zwistes, und während sie gegen einige die Anklage erheben, dass sie Leute ohne Process getödtet hätten, verurtheilen sie in einem Athem gleich ein ganzes Volk zur Strafe der Ehrlosigkeit, 275 da jene Stadt, die sonst sogar allen fremden Nationen angelweit offen steht, auf dass sie dort ihrer Andacht pflegen können, den eigenen Landsleuten jetzt wie eine Feindesburg verschlossen gehalten wird. 276 Ei, ei, nur zu Mord und Todschlag und zum Vergießen von Bürgerblut konnten wir herbeigeeilt sein, die wir doch nur darum so schnell zur Stelle waren, um euch, Unglücklichen, die Freiheit zu retten. 277 Sicher wird wohl auch das Unrecht, das ihr von den Eingeschlossenen erfahren habt, von dieser Gattung gewesen sein, 278 und dürften auch die Verdachtsgründe, die ihr gegen jene zusammengesucht habt, vermuthlich von derselben Ueberzeugungskraft sein, wie die gegen uns gerichteten. Weiter behauptet ihr in demselben Augenblick, da ihr gerade die besten Freunde der öffentlichen Wohlfahrt bei euch drinnen mit Wachen umstellet und die engeverwandten Stämme haufenweise und zwar unter den frechsten Forderungen zur Stadt hinaussperret, ihr behauptet noch, dass man euch tyrannisiere, und hänget den Schimpfnamen von Gewaltmenschen gerade jenen an, die ihr selbst tyrannisiert! 279 Wer sollte bei euren Worten, voll des bittersten Spottes, noch an sich halten können, wenn er das gerade Gegentheil in euren Werken sieht? Doch Geduld, die Idumäer werden euch auch jetzt aus eurer Hauptstadt ausschließen, wie ihr sie vom Tempel ihrer Väter ferne haltet. 280 An den im Tempel Belagerten könnte man billigerweise nur das eine aussetzen, dass sie bei ihrem kühnen Unternehmen, die Verräther zu züchtigen, welche ihr als Gleichgesinnte natürlich »angesehene und solide Männer« nennet, nicht gleich mit euch selbst angefangen und so die Verrätherei schon früher ins Herz getroffen haben. 281 Wenn aber auch jene über Gebür glimpflich mit euch verfahren sind, so werden wir, Idumäer, das Haus Gottes zu schützen wissen und die gemeinsame Vaterstadt [318] mit unserem Leibe decken, indem wir gegen die auswärtigen Feinde ziehen und zugleich uns der Verräther im Innern erwehren wollen. 282 Hier im Angesichte der Mauern wollen wir ausharren, bis entweder den Römern die Lust vergeht, auf eure Anträge zu warten, oder ihr selbst endlich einmal anfanget, euch für die Freiheit zu begeistern.“

283 (5.) Diese Worte begleiteten die Idumäer mit lautem Beifallsgeschrei. Jesus aber zog sich ganz niedergeschlagen zurück: musste er ja sehen, wie die Idumäer so gar keiner billigen Erwägung zugänglich waren, und die Stadt jetzt von zwei Seiten auf einmal bedroht war. 284 Doch blieb auch die Stimmung bei den Idumäern keine allzu rosige. Sie waren, wie gesagt, höchst aufgebracht über die Schmach, aus der Stadt hinausgesperrt zu sein, hatten aber anfangs immerhin noch eine hohe Meinung von der Macht der Zeloten. Als sie aber dann sahen, wie die letzteren sich gar nicht rühren konnten, war die Verlegenheit fertig, und viele bereuten es schon, sich dem Zuge angeschlossen zu haben. 285 Doch überwog die Scham darüber, dass man ganz unverrichteter Dinge hätte zurückkehren müssen, das Gefühl der Reue, und so blieb man an Ort und Stelle vor der Mauer, so schlecht man auch campieren konnte. 286 Es brach nämlich bei der Nacht ein unbändiger Sturm los, mit aller Macht brausten die Winde, begleitet von den heftigsten Regenschauern, Blitz folgte auf Blitz und schauerlich hallten die Donnerschläge, und die zitternde Erde brüllte dazu ganz unnatürlich: 287 es war ganz so, als wolle der Weltbau in Trümmer stürzen, um das Menschengeschlecht darunter zu begraben, und wahrlich kein geringfügiges Ereignis konnte es sein, das diese schrecklichen Zeichen vorbedeuten mussten!

288 (6.) Die Idumäer und die Leute in der Stadt machten sich über das Ereignis genau dieselben Gedanken: Jene dachten nur, dass Gott über ihren Feldzug ergrimmt sei, und dass sie seiner Hand wohl nicht mehr entrinnen würden, weil sie gegen die Hauptstadt die Waffen erhoben hätten. Die Anhänger des Ananus aber meinten nicht anders, als dass sie ohne einen Schwertstreich schon Sieger wären, und dass Gott selbst für sie den Kampf auf sich genommen, 289 eine Deutung, mit welcher sie gar weit fehl schossen, da sie von den Feinden prophezeiten, was gerade über ihre eigenen Leute hereinbrechen sollte. 290 Denn was die Idumäer betrifft, so drängten sie sich enge zusammen und schützten sich gegenseitig durch ihre natürliche Körperwärme, während sie gleichzeitig die Schilde über ihren Köpfen dicht zusammenschlossen und auf diese Weise auch vom Regen weniger hergenommen wurden. 291 Unterdessen waren die Zeloten wie auf die Folter gespannt und zwar nicht so sehr wegen der ihnen selbst drohenden Gefahr, als vielmehr wegen [319] der Idumäer. Sie steckten die Köpfe zusammen und speculierten hin und her, ob sie nicht ein Mittel fänden, den Idumäern zu Hilfe zu kommen. 292 Die Heißblütigeren unter ihnen schlugen vor, man möge einen Durchbruch durch die Wachen mit den Waffen in der Hand versuchen, dann einen Ausfall mitten in die Stadt hinabwagen und den Bundesgenossen ganz keck die Thore öffnen. 293 Denn die Wachen, meinten sie, würden bei ihrem unvermutheten Auftauchen ganz bestürzt zurückweichen, zumal die meisten von ihnen auch noch unbewaffnet und im Kampfe unerfahren wären: die Menge aber in der Stadt unten könnte bei dem gegenwärtigen Unwetter, das alles in die Häuser getrieben habe, nur sehr schwer gesammelt werden. 294 Sollte indes die Sache nicht ganz harmlos ablaufen, so sei es eine Ehrensache für sie, lieber alles mögliche zu erdulden, als gleichgiltig zuzusehen, wie eine solche Masse von Menschen elendiglich zu Grunde gehen müsste. 295 Die Klügeren dagegen hofften von der Gewalt gar keinen Erfolg, da sie nicht allein die Zahl der Wachen in ihrer unmittelbaren Umgebung stark vermehrt, sondern auch die Stadtmauer aus Furcht vor den Idumäern sorgfältig bewacht sahen. 296 Ueberall glaubten sie den Ananus zu sehen, wie er eine Stunde um die andere die Wachen persönlich inspicierte – 297 was auch in der That in den vorausgehenden Nächten immer geschehen war, aber gerade in dieser Nacht unterblieb, keineswegs infolge einer Fahrlässigkeit von seiner Seite, sondern weil das unumschränkt waltende Verhängnis ihn selbst, sowie seine zahlreichen Wachen bereits zum Tode verurtheilt hatte. 298 Ja, das Verhängnis war es, welches auch damals bei vorgerückter Nachtstunde, während der Sturm immer heftiger anschwoll, die auf der Säulenhalle befindlichen Wachen einschläferte, zu gleicher Zeit aber die Zeloten auf den Einfall brachte, einige von den Sägen im Heiligthum zu nehmen und damit die Querbalken an den Thoren abzuschneiden. 299 Das Sausen der Windsbraut und der fortwährend rollende Donner kam ihnen dabei so gut zustatten, dass nicht das geringste Geräusch herausgehört werden konnte.

300 (7.) Ganz unbemerkt kamen sie so vom Tempel zur Mauer, wo sie mit Anwendung derselben Sägen das den Idumäern zugewendete Stadtthor aufsprengten. 301 Anfangs waren die Idumäer davon ganz betroffen, da sie nichts anderes glaubten, als dass die Leute des Ananus einen Ueberfall versuchten, und sofort umklammerte auch schon jede Faust zur Abwehr ihren Schwertgriff: bald aber hatten sie die Nahenden erkannt und drangen ein. 302 Hätten sie sich nun sofort über die eigentliche Stadt ergossen, es wäre wohl ohne Frage zur Niedermetzlung des ganzen Volkes gekommen – so furchtbar war ihre Wuth! Indessen beeilten sie sich zunächst nur, den Zeloten im [320] Tempel Entsatz zu bringen, zumal die ihnen entgegenkommenden Rebellen mit Bitten sie bestürmten, sie möchten doch gerade jene, um derentwillen sie gekommen, nicht länger in ihrer peinlichen Situation lassen oder gar noch in eine größere Gefahr stürzen: 303 wären nur einmal die Wachen überwältigt, so müsste es ihnen ja ein Leichtes sein, die Stadt selbst zu stürmen: wäre aber einmal durch ihr Erscheinen in der Stadt schon Lärm geschlagen, so sei es auch mit der Ueberrumplung der Wachen vorbei, 304 da die letzteren, einmal aufmerksam gemacht, sofort Stellung nehmen und den Aufstieg zum Tempel ihnen versperren würden.


Fünftes Capitel.
Erstürmung des Tempels und der Stadt durch die Idumäer und Zeloten. Ermordung des Ananus und Jesus. Zahlreiche Hinrichtungen. Tod des Priesters Zacharias. Die Zeloten suchen die Idumäer zu entfernen.

305 (1.) Den Idumäern konnte dieser Vorschlag nur recht sein, und so stiegen sie denn durch die Stadt zum Tempel hinauf, wo unterdessen die Zeloten in großer Spannung auf ihr Erscheinen warteten. Wie die Idumäer eindrangen, schöpften auch sie wieder frischen Muth, verließen das innere Heiligthum 306 und stürzten sich, Idumäer und Zeloten durcheinander, auf die Wachen. Einige Vorposten stachen sie im Schlafe nieder, worauf durch den Lärm der Wachgewordenen die ganze Mannschaft auf die Beine kam und voll Bestürzung zu den Waffen griff, um sich ihrer Haut zu wehren. 307 Solange sie nur die Zeloten vor sich zu haben glaubten, hielt der Gedanke an ihre eigene Uebermacht, welche den Feind erdrücken musste, ihren Muth noch aufrecht: sobald sie aber noch andere von draußen hereinströmen sahen, merkten sie, dass die Idumäer eingebrochen sein müssten, 308 und ließen größtentheils mit dem Muthe auch die Waffen sinken, um sich nur mehr einem verzweiflungsvollen Jammer zu überlassen! Bloß eine kleine Zahl von Jüngeren verrammelte sich und nahm es muthig mit den Idumäern auf, so dass sie ziemlich lange auch die übrige fassungslose Menge deckten, 309 die wenigstens mit ihrem Geschrei weithin die Leute in der Stadt auf die eingetretene Katastrophe aufmerksam machte. Doch wagten es Niemand von den Stadtbewohnern, als man den Einbruch der Idumäer erfuhr, den Bedrohten zu Hilfe zu kommen, sondern man erhob nur als einzige Antwort gleichfalls ein entsetzliches Geschrei und Weheklagen, zumal die Frauen, die mit ihrem Heulen die Luft erfüllten, da jede von ihnen einen Angehörigen unter den in höchster Gefahr schwebenden Wachen wusste. 310 Dazu brüllten die Zeloten mit den Idumäern ihren Schlachtruf, und das Toben [321] des Sturmes machte das allgemeine Schreckensconcert noch schauerlicher. Die Idumäer kannten keine Schonung, da sie schon von Natur aus sehr mordlustig waren und jetzt auch für die Unbilden der schlechten Witterung mit den Waffen in der Hand sich an denen, die sie hinausgesperrt hatten, rächen konnten: 311 es war gleich, ob Jemand um Gnade flehte oder sich zur Wehre setzte. Vielen stießen sie in dem Augenblicke das Schwert in den Leib, da man sie an die nationale Verwandtschaft erinnern wollte und sie bat, doch wenigstens vor dem gemeinsamen Heiligthum Ehrfurcht zu haben. 312 Zur Flucht fehlte geradezu jeder Ausweg, Hilfe war keine zu hoffen. Dicht zusammengepfercht, wurden sie, einer um den andern, niedergestreckt, und der größte Theil gegen den äußersten Rand hinausgedrängt, wo sie sich, immer von den Mördern gefolgt, aus lauter Verzweiflung, weil es hier kein weiteres Zurückweichen mehr gab, selbst in die Stadt hinunterstürzten und so, wie mich wenigstens bedünken will, einen noch erbärmlicheren Tod durch eigene Wahl erdulden wollten, als jener gewesen wäre, dem sie entgiengen. 313 Der ganze äußere Tempelraum war mit Blut überschwemmt, und der kommende Tag leuchtete über 8500 Leichen.

314 (2.) Dennoch war damit der Grimm der Idumäer noch nicht gestillt. Sie wandten sich vielmehr jetzt erst der Stadt zu, wo sie alle Häuser ausplünderten und tödteten, wer ihnen gerade in den Wurf kam. 315 Doch wollten sie auch mit dem gemeinen Volke keine Zeit verlieren und fahndeten vor allem nach den Hohenpriestern, an deren Verfolgung sich fast alles betheiligte. 316 Bald waren sie in ihren Händen und wurden auf der Stelle abgethan. Dann trat man noch auf ihre Leichen und goss dabei über die Volksfreundlichkeit des Ananus, wie auch über die Rede, die Jesus von der Mauer herab gehalten hatte Hohn und Spott aus. 317 Ja, sie giengen in ihrer Ruchlosigkeit so weit, dass sie sogar die Leichen unbeerdigt liegen ließen, wo man sie eben hingeworfen hatte, obschon die Juden sonst eine ungewöhnliche Sorge für die Bestattung der Todten entwickeln, so dass selbst solche, die als Verbrecher gekreuziget werden, noch vor Sonnenuntergang herabgenommen und begraben werden müssen. 318 Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich sage, dass mit dem Tode des Ananus der Anfang des Endes für die Stadt gekommen, und dass von eben jenem Tage an schon ihre Mauer erschüttert, ihr Schicksal entschieden war, an welchem das Volk den Hohenpriester und Führer seines Heiles mitten in der Stadt hingeschlachtet schauen musste. 319 War er ja doch ein Mann, der nicht bloß eine ehrfurchterweckende Frömmigkeit mit der unbeugsamsten Gerechtigkeitsliebe verband, sondern dem es sogar ein Vergnügen machte, trotz der Höhe seines Adels, seiner Würde und seines Ansehens, [322] in dem er stand, sich zu den geringsten Leuten, als wären sie seinesgleichen, herabzulassen. 320 Ein begeisterter Freund der Freiheit und feuriger Anhänger der Volksherrschaft, zog er immer das Gemeinwohl den persönlichen Interessen vor, und an der Erhaltung des Friedens war ihm, da er die Macht Roms für ganz unbesiegbar halten musste, alles gelegen, obschon er auch nothgedrungen Vorbereitungen für den Krieg treffen musste, damit die Juden, wenn sie schon von keiner Verständigung etwas wissen wollten, den Strauß wenigstens mit einigem Vortheil durchfechten könnten. 321 Kurz gesagt, wenn Ananus am Leben geblieben wäre, hätten sich die Juden sicher entweder zu einem Vergleiche herbeigelassen, da er ein Meister des Wortes, besonders ein gewaltiger Volksredner und bereits auf dem besten Wege war, seine Widersacher zu bändigen, oder sie hätten, einmal in den Krieg verwickelt, den Römern unter einem solchen Feldherrn sehr viel zu schaffen gemacht. 322 Ihm zur Seite stand in enger Freundschaft noch der genannte Jesus, der, wenn er auch ihn selbst nicht erreichte, doch über alle anderen hervorragte. 323 Aber ich glaube, dass Gott, weil er schon einmal die befleckte Stadt zum Untergang verurtheilt hatte und das Heiligthum im Feuer reinigen wollte, ebendarum auch jene, die noch an ihm hiengen und es innigst liebten, hinweggenommen hat. 324 So konnte man nun die Männer, die noch vor kurzem mit den heiligen Gewanden bekleidet und die Vorsteher einer Weltreligion waren, verehrt von den aus der ganzen bewohnten Erde nach Jerusalem kommenden Pilgern, nunmehr aller Kleider beraubt hingeworfen sehen, ein Frass für die Hunde und die wilden Thiere, 325 Männer, von denen ich glaube, dass wohl die Tugend selbst über sie geseufzt und ihre Jammerklage erhoben haben muss, weil sie in diesen Personen ein so schreckliches Opfer der Bosheit geworden. Das war also zunächst einmal das traurige Ende, das Ananus und Jesus nahmen.

326 (3.) Nach ihrer Hinmetzlung stürzten sich die Zeloten im Verein mit den Scharen der Idumäer auf das Volk, als gelte es einer Herde gemeiner Thiere, und ließen an ihm ihre ganze Mordlust aus. 327 Die gewöhnlichen Leute wurden, wo man sie traf, an Ort und Stelle niedergehauen, edlere und jüngere Personen dagegen verhaftete man und schloss sie gefesselt in die Gefängnisse ein, weil man durch den Aufschub ihrer Hinrichtung manche aus ihnen zum Anschluss an die eigene Partei zu bewegen hoffte. 328 Doch gab ihnen Niemand Gehör, sondern alle wollten lieber sterben, als dass sie zum Unheil ihrer Vaterstadt die Reihen der Schurken verstärkt hätten. 329 Entsetzlich aber waren dafür auch die Martern, die sie wegen ihrer Weigerung zu erdulden hatten: sie wurden gepeitscht und auf der Folter gereckt, [323] und nachdem kein gesunder Fleck mehr am ganzen Leibe war, der noch hätte zerrissen werden können, mussten sie schließlich froh sein um den letzten Schwertstreich. 330 Wie die Gefangennahme am Tage, so wurden die Hinrichtungen regelmäßig bei der Nacht vorgenommen, worauf man die Leichen hinausschaffte und einfach hinwarf, um wieder Platz für neue Gefangene zu bekommen. 331 Der Schrecken unter dem Volke war so groß, dass Niemand über die Hinrichtung eines Verwandten offen zu weinen noch ihn zu begraben wagte: nur in der Stille des verriegelten Kämmerleins fielen die Zähren, und selbst dort wachte noch die Angst über die Seufzer, damit ja keiner von den Feinden etwas auffangen könnte. 332 Denn, wer trauerte, den ereilte sofort das Schicksal des Betrauerten. Nur während der Nacht nahm man ein paar Handvoll Staub und streute ihn über die Leichen: bei Tag nur, wer den Tod riskieren mochte. 333 12.000 Männer von edler Abkunft wurden auf diese Weise hingeschlachtet.

(4.) 334 Nachdem selbst die Zeloten bereits Ekel empfanden beim Anblick der Ströme von Blut, die sie vergossen, suchten sie nunmehr mit Gericht und Recht ihren Spott zu treiben, 335 und zwar hatten sie es dabei auf den Tod eines der erlauchtesten Männer, des Zacharias, Sohnes des Baruch, abgesehen. Was sie gegen den Mann aufreizte, das war sein gründlicher Abscheu vor allem Schlechten und seine überaus große Liebe zur Freiheit; außerdem war er auch reich, so dass sie von ihrer That nicht bloß die Beschlagnahme seines Vermögens, sondern noch überdies die Beseitigung eines Menschen erhofften, der seine Macht zu ihrer Unterdrückung benützen konnte. 336 Auf ihre bestimmte Weisung mussten siebzig in öffentlichen Stellungen befindliche Bürger in den Tempel kommen, wo man sie, wie bei einem Theaterstück, als Richter dasitzen ließ, ohne ihnen die mindeste Gewalt zu geben. Vor diesen erhoben sie nun gegen Zacharias die Anschuldigung, dass er den Römern Alles in die Hände liefern wolle und zu diesem Zwecke schon eine hochverrätherische Botschaft an Vespasian habe gelangen lassen. 337 Für diese Beschuldigung hatten sie weder einen Beweis noch einen Zeugen, sondern sie stützten sich nur wieder auf ihre eigene Behauptung, dass sie davon ganz überzeugt wären, und erklärten, dies allein müsse schon die Wahrheit ihrer Anklagen verbürgen. 338 Zacharias war sich übrigens nur zu wohl bewusst, dass es für ihn keine Hoffnung auf Rettung mehr gebe: war er doch, wie er sich sagen musste, nicht so sehr ein vor Gericht geladener Angeklagter, als vielmehr nur ein unter diesem listigen Vorwand schon zum Tode bestimmter Gefangener, und so wollte er denn sein Leben, für das er keine Hoffnung mehr hatte, nicht schließen, ohne den [324] Zeloten die Wahrheit gehörig gesagt zu haben. Er trat vor sie hin und geißelte mit scharfem Spott die überzeugungsvolle Klarheit der Beschuldigungen und zermalmte mit ein paar Streichen das ganze Lügenwerk der Anklage 339 Hierauf wandte er sich unmittelbar gegen seine Ankläger, nahm der Reihe nach alle ihre Gesetzlosigkeiten vor und schloss mit einem Weheruf über die allgemeine Zerrüttung. 340 Unterdessen lärmten die Zeloten und rasselten schon mit den Schwertern, ohne sie jedoch zu ziehen, da sie sich vorgenommen hatten, die äußere Form zu wahren und die Komödie des Gerichtes bis zum Ende zu spielen, und überdies auch die Richter auf die Probe stellen wollten, ob sie unter eigener Lebensgefahr noch der Gerechtigkeit eingedenk bleiben würden. 341 Die Siebzig gaben aber dem Angeklagten lauter freisprechende Stimmen und wollten lieber mit ihm sterben, als auch nur mit ihrem Namen seine Ermordung decken. 342 Auf den Freispruch hin erhoben die Zeloten ein großes Geschrei, und allgemein kehrte sich ihre Wuth gegen die Richter, die so wenig verständnisinnig auf die ihnen zugedachte falsche Rolle eingegangen waren. 343 Zwei der verwegensten dagegen fielen inmitten des Heiligthums über Zacharias her und durchbohrten ihn, während sie dem Zusammenbrechenden noch den Spott zuriefen: „Da hast du auch unsere Stimme und einen noch gründlicheren Freispruch!“ Dann schleuderten sie sofort den Todten vom Tempel in die unter ihm gelegene Schlucht. 344 Die Richter aber schlugen sie zum Spott mit den flachen Klingen ihrer Schwerter und stießen sie zu den äußeren Tempelthoren hinaus, ohne sich indes an ihrem Leben zu vergreifen, aus dem einzigen Grunde, damit sie in der Stadt herumlaufen und die neue Knechtschaft allen ja sicher ankündigen sollten.

345 (5.) Die Idumäer bereuten es jetzt schon, nach Jerusalem gekommen zu sein, und das dortige Treiben begann ihnen bereits zu widerstehen. 346 Da kam überdies einer von der Zelotenpartei zu einer vertraulichen Unterredung, bei der er den versammelten Idumäern zuerst ihre Verletzungen des Gesetzes überhaupt nachwies, die sie im Bunde mit ihren Schützlingen schon begangen, und ihnen dann über das schwere Unrecht, das der Hauptstadt geschehen, reinen Wein einschenkte: 347 „Ihr seid hiehergekommen,“ sprach er, „in der festesten Meinung, als ob die Hauptstadt von den Hohenpriestern an die Römer verrathen würde; ihr habt aber bislang nicht den kleinsten Beweis für einen solchen Verrath entdecken können: wohl aber dürftet ihr gefunden haben, dass gerade jene Leute, die da angeblich sich nur vor dem Verrathe zu schützen suchten, in Wirklichkeit als freche Feinde und Tyrannen der Stadt sich geberden. 348 Daran hättet ihr sie nun gleich [325] vom Anbeginn an hindern sollen. Nachdem ihr aber euch einmal zur Theilnahme am Morde von Stammesbrüdern habt hinreißen lassen, so sollt ihr wenigstens jetzt euren Missgriffen eine Schranke setzen und denen, die alle väterlichen Institutionen niederreißen, nicht länger mehr euren kräftigen Arm zur Verfügung stellen. 349 Wenn auch manche aus euch es noch nicht verwinden können, dass man ihnen die Thore versperrt und den freien Eintritt für so lange verwehrt hat, als sie die Waffen nicht abgelegt hätten, so sind doch gerade jene Personen, die euch nicht hereinlassen wollten, dafür schon gezüchtigt. Ananus ist todt, und fast das ganze Volk ist während einer einzigen Nacht niedergemetzelt worden. 350 Wie ihr selbst die Wahrnehmung machet, wandelt ob solcher Greuel gar viele von euren eigenen Leuten schon Reue an, und könnt ihr euch auch mit euren Augen von der grenzenlosen Grausamkeit derer überzeugen, die euch zu Hilfe gerufen, und die selbst vor jenen keine Scheu mehr haben, mit deren Hilfe sie doch gerettet worden sind. 351 Treiben sie ja schon vor den Augen ihrer Bundesgenossen die größten Schändlichkeiten und Ruchlosigkeiten, die gewiss auch euch, den Idumäern, insolange aufgebürdet werden, als ihr entweder diese Dinge nicht zu verhindern sucht, oder aber euch selbst von ihren Unthaten nicht zurückzieht. 352 Da sich somit die Erzählungen vom Verrathe als pure Verleumdungen entpuppt haben, und ein Anmarsch von Seite der Römer jetzt keinesfalls zu erwarten steht, überdies auch die Stadt von einer starken Macht geschirmt ist, so ist es das beste, dass ihr in eure Heimat zurückkehret und durch die Absage einer unbedingten Heeresfolge an die Schurken euch auch von der bisherigen Gemeinschaft rein waschet, in die ihr durch die List jener Betrüger hineingezogen worden seid.“


Sechtes Capitel.
Gesteigerte Mordlust der Zeloten. Hinrichtung des Gorion und Niger. Der Plan Vespasians diesen Vorgängen gegenüber. Allgemeiner Schrecken in der Hauptstadt.

353 (1.) Wirklich ließen sich die Idumäer durch diese Enthüllungen bestimmen: was sie aber zunächst noch thaten, das war, dass sie die in den Gefängnissen befindlichen Bürger in der Zahl von beiläufig 2000 ihrer Bande entledigten, worauf die letzteren sofort aus der Stadt flohen und sich einem gewissen Simon anschlossen, von dem bald weiter unten die Sprache sein wird. Hierauf traten auch die Idumäer den Rückweg von Jerusalem in ihre Heimat an. 354 Ihr Abzug bedeutete für beide Parteien in der Stadt eine Ueberraschung. Denn einerseits hatte das Volk von der Sinnesänderung der Idumäer keine Ahnung gehabt und athmete jetzt für kurze Zeit, wie von einem [326] feindlichen Alp befreit, wieder auf; 355 die Ueberraschung der Zeloten aber war keineswegs die von Leuten, welche von Bundesgenossen im Stiche gelassen werden, sondern war im Gegentheil eine Ueberraschung von Menschen, die von unbequemen Mahnern und Gegnern ihrer Ungerechtigkeiten erlöst sind, und sie trugen den Kopf jetzt noch viel höher. 356 Denn jetzt gab es bei ihren Schlechtigkeiten gar kein Zaudern und gar keine Bedenklichkeit mehr, sondern mit größter Schnelligkeit wurden die Anschläge zu jedwedem Streiche entworfen, und der Beschluss noch rascher ausgeführt, als ausgeheckt. 357 Am meisten zogen Tapferkeit und Adel ihre mordlustigen Augen auf sich: das eine musste ihrem Neide, das andere ihrer Furcht zum Opfer fallen. Erst dann glaubten sie ganz sicher zu sein, wenn sie den letzten mächtigen Mann vernichtet hätten. 358 So ward mit vielen anderen auch Gorion hingerichtet, ein Mann von hervorragender Stellung und Abkunft, der ganz für die Volksherrschaft eingenommen und für die Freiheit, wie nur einer unter den Juden, begeistert war. Gerade diese seine hervorragenden Eigenschaften, darunter ganz besonders seine Freimüthigkeit, wurden für ihn verhängnisvoll. 359 Ja nicht einmal Niger von Peräa, der sich in den Kämpfen mit den Römern so überaus heldenmüthig benommen, entgieng ihren Mörderhänden. Als man ihn mitten durch die Stadt schleppte, erhob er wiederholt seine Stimme und ließ seine für die Freiheit erhaltenen Wundnarben sehen. 360 Vor das Stadtthor hinausgeführt, sah er endlich, dass es für ihn keine Hoffnung mehr gebe, und flehte nunmehr um ein ehrlich’ Begräbnis. Die Unmenschen aber thaten ihm noch zuvor die Grausamkeit an, ihm zu sagen, dass sie ihm gerade das, was er so sehnlich verlangte, einen Platz im Schoße der Erde, nicht gewähren würden, – dann vollbrachten sie das grause Werk! 361 Schon mit dem Tode ringend, fluchte Niger über seine Mörder die Rache der Römer, und zum Kriege noch Hunger und Pest herab und wünschte zu all’ dem, dass eines Hand gegen den andern sei. 362 Das alles hat auch wirklich Gott über die Verruchten verhängt, und was das gerechteste Gericht war, sie sollten nicht lange darauf einer gegen den andern sich erheben und einer die Tollwuth des andern verkosten. 363 Die Hinrichtung des Niger hatte nun allerdings bei den Zeloten die Besorgnis wegen ihres Sturzes verringert: dessen ungeachtet blieb aber kein Theil des Volkes von erdichteten Anklagen unberührt, die man nur zum Verderben desselben ersonnen hatte. 364 Denn war auch jener Theil, der sich irgendwie gegen ihre Pläne stützig gezeigt hatte, längst ausgemerzt, so wurden nunmehr selbst jene friedlichen Leute, die sich vor jedem Widerspruch gehütet hatten, mit entsprechenden Anklagen bedacht: wer ihnen z. B. [327] nicht gänzlich beigetreten war, wurde eines hochfahrenden Sinnes, wer seinen Freimuth beim Anschluss mit sich nahm, der Geringschätzung, wer schmeichelte, des Verrathes verdächtigt. 365 Die schwersten Anklagen, wie die geringfügigsten, zogen alle ein und dieselbe Strafe nach sich, den Tod! Niemand entgieng seinem Schicksal, außer der, welcher entweder von ganz niedriger Herkunft oder ohne alle Glücksgüter war.

366 (2.) Alle höheren römischen Officiere betrachteten den Zwist unter den Feinden als eine unerwartete Gunst des Kriegsgottes und wollten sich darum sofort auf die Stadt werfen, wozu sie auch Vespasian, den sie schon für den Herrn der Situation hielten, dringend aufforderten. Es sei, meinten sie, eine besondere Fügung Gottes zu Gunsten der Römer, dass die Feinde selbst jetzt durcheinander gebracht wären: 367 immerhin aber sei der Umschwung oft ein rascher, und würden sich die Juden wohl wieder schnell miteinander abfinden, wenn sie entweder an ihrem inneren Uebel genug gelitten hätten, oder ihnen die Reue kommen sollte. 368 „Ihr habt da gar weit fehlgeschossen“, erwiderte Vespasian, „indem ihr vor lauter Begierde, nur mit der Stärke eurer Faust und dem Glanze eurer Waffen bei einem, allerdings nicht unblutigen, Schaustück gleichsam paradieren zu können, die Zuträglichkeit und Sicherheit ganz aus dem Auge lasset. 369 Denn, wenn wir sofort gegen die Stadt stürmen, so werden wir nur das eine erzielen, dass die Feinde wieder zusammenhalten und ihre volle Kraft dann gegen uns kehren: halten wir uns aber noch zurück, so wird der Bürgerkrieg noch weiter ihre Reihen lichten, und wir haben es dann mit noch weniger zu thun. 370 Ja, Gott ist ein besserer Stratege als ich, weil er es versteht, den Römern auch ohne Schlachtenstaub die Juden zu überliefern und ihrem Heere einen gefahrlosen Sieg zu schenken. 371 Wenn nun der Feind mit eigener Hand sich selbst zerfleischt und vom ärgsten Uebel, dem Bürgerkriege, heimgesucht wird, so sollten wir doch lieber den Gefahren in mäßiger Ruhe zuschauen, als mit bewaffneter Hand unter todeswüthige und wie tolle Hunde aufeinander losstürzende Menschen uns mischen. 372 Sollte aber Jemand der Meinung sein, ein Siegeskranz könne, ohne Kampf erworben, nur ein welker sein, so möge er wissen, dass ein geräuschlos gewonnener Erfolg jedenfalls einen größeren Nutzen bringt, als eine gewagte Waffenthat. 373 Auch darf man ja diejenigen, welche glänzende Proben ihrer Tapferkeit abgelegt haben, darum nicht höher an Ruhm stellen, als jene, die durch Zurückhaltung und Klugheit dieselben Erfolge zustande gebracht haben. Während auf diese Art die Feinde immer weniger werden, wird sich zugleich mein Heer von den unausgesetzten Anstrengungen erholen [328] und immer kräftiger werden. 374 Ueberdies ist das auch nicht die rechte Zeit für jene, die gerne einen recht glänzenden Sieg erzielen möchten. 375 Denn, anstatt dass sich die Juden mit Herstellung von Waffen und Mauern oder mit der Werbung von Hilfstruppen abgeben, wobei jeder Aufschub natürlich auch die Lage dessen verschlimmern würde, der ihn gewährt, drehen sie sich selbst gegenseitig im Bürgerkampf und inneren Streit die Hälse um und müssen von einander Tag für Tag noch viel Jämmerlicheres leiden, als was wir selbst ihnen nach der Eroberung der Stadt anthun könnten. 376 Mag man also zunächst nur das Sichere in Betracht ziehen, so ergibt sich gewiss die Nothwendigkeit, Leute, die sich gegenseitig aufreiben, sich auch selbst zu überlassen; aber man sollte auch in dem Falle, dass man selbst auf den größeren Siegesruhm Bedacht nehmen will, sich keine solche Stadt zum Angriffsziel wählen, die ohnehin noch an einer inneren Wunde blutet, da man dann mit gutem Grunde uns sagen könnte: Nicht eure Macht, sondern die eigene Uneinigkeit hat sie zum Falle gebracht.“

377 (3.) Diesen Ausführungen des Vespasian konnten die übrigen Führer nur beistimmen, und es sollte sich auch alsbald weisen, wie klug dieser Feldzugsplan gewesen. Es kamen nämlich Tag für Tag eine Menge Ueberläufer zu den Römern, die den Zeloten entsprungen waren. 378 Die Flucht gestaltete sich freilich sehr schwierig, da die Zeloten alle Ausgänge mit Wachen besetzt hielten und jedem, der dort unter was immer für Umständen aufgegriffen ward, als einem Ueberläufer ins römische Lager den Garaus machten. 379 Wer jedoch Geld hergeben konnte, den ließ man laufen, und nur der, welcher nichts gab, war ein Verräther! Infolge dessen wurden nur die Armen hingeschlachtet, während sich die Wohlhabenden auch die Flucht bezahlen konnten. 380 An allen Landstraßen lagen ganze Haufen von Leichen aufgeschichtet, bei deren Anblick selbst viele, die schon zum Ueberlaufen entschlossen waren, sich wieder bewogen fühlten, lieber in der Stadt ihr elendes Ende zu erwarten, weil den Tod in der Vaterstadt wenigstens die Hoffnung auf ein Begräbnis milder erscheinen ließ. 381 Doch giengen die Zeloten in ihrer Roheit so weit, dass sie ebensowenig den innerhalb der Stadt getödteten Personen, wie denen, die auf ihrem Wege niedergestreckt worden waren, die Erde gönnten, 382 sondern, wie wenn sie sich verschworen hätten, mit den Gesetzen ihrer Vaterstadt auch die der Natur herauszureißen und mit den Freveln gegen die Menschen auch die Schändung der Gottheit zu verbinden, die Leichen unter den Strahlen der Sonne modern ließen. 383 Wer einen Verwandten begrub, den traf dieselbe Strafe, wie den Ueberläufer – der Tod, und er musste nun selbst gleich das entbehren, was er einem andern geschenkt [329] hatte – das Grab. 384 Kurz und gut, es gab keine edlere Regung, die in jener Schreckenszeit dermaßen geschwunden war, wie das Erbarmen! Denn gerade das, was das Herz erweichen musste, das war es, was die Unholde noch mehr reizte. An den Todten ließen sie wegen der Lebenden, an den Lebenden aber wegen der Todten ihre ganze Wuth aus. 385 Wer noch verschont war, pries im Uebermaß der Angst, in der er schwebte, selbst jene selig, die vor ihm schon ergriffen worden, weil sie wenigstens der peinlichen Ungewissheit los waren; die in den Gefängnissen schmachtenden nannten sogar die Todten, die kein Grab hatten, noch verhältnismäßig glücklich. 386 Alles menschliche Recht wurde von ihnen mit Füßen getreten, die göttliche Offenbarung verlacht und die Aussprüche der Propheten als gauklerisches Machwerk verhöhnt. 387 Die Propheten haben nämlich viele göttliche Weisungen über die Tugend sowohl wie das Laster in alter Zeit ergehen lassen, und gerade durch deren Uebertretung sollten die Zeloten auch der Prophezeiung vom Untergange des Vaterlandes ihre Erfüllung bringen. 388 Denn es bestand ja eine von gotterfüllten Männern gebrachte alte Weissagung, dass gerade dann die Stadt in Feindeshand fallen, und das Heiligthum bei der Erstürmung niedergebrannt werden würde, wenn ein Bruderkampf hereingebrochen und der Tempelbezirk zuvor von den Händen der Juden selbst entweiht sein würde. Eben diese Weissagung war es nun, welcher sich die Zeloten trotz ihres Unglaubens als Werkzeuge zur Verfügung stellen mussten.


Siebentes Capitel.
Die Partei des Johannes. Die Sicarier von Masada rühren sich. Vespasian nimmt Gadara. Grosses Gemetzel am Jordan.

389 (1.) Da Johannes (von Gischala) sein Auge auf die Gewaltherrschaft geworfen hatte; so fand er es bereits unter seiner Würde, sich genau so wie seine Genossen behandeln zu lassen, und suchte allmählich kleinere Gruppen der abgefeimtesten davon auf seine Seite zu bringen, um sich auf diese Weise von der Hauptpartei der Zeloten frei zu machen. 390 Immer störrisch gegen die Beschlüsse der übrigen, bestand er desto herrischer auf seinen eigenen Befehlen und verrieth so deutlich, dass nur nach der Alleinherrschaft sein Verlangen gehe. 391 Manche ließen sich aus Furcht, manche aber auch aus wirklicher Anhänglichkeit zu seiner Gefolgschaft bewegen, da er eine besondere Gabe hatte, mit Trug und List die Leute an sich zu ziehen. Viele andere wieder gab es, die im Interesse ihrer Sicherheit es für geboten hielten, dass man die Schuld an den Frevelthaten nunmehr auf einen einzigen Mann abwälzen konnte, statt sie auf viele vertheilen zu müssen. 392 Uebrigens war es [330] schon bei seinem persönlichen Muthe und seiner Findigkeit begreiflich, dass er nicht wenige Spießgesellen besitzen musste. 393 Immerhin blieb noch eine zahlreiche Partei von Gegnern übrig, bei welchen zum Theil der Neid den Ausschlag gab, da sie es für eine arge Demüthigung hielten, vor einem früheren Genossen sich jetzt auf einmal ducken zu müssen, während die meisten die Besorgnis vor der Alleinherrschaft vom Anschluss zurückhielt. 394 War er nämlich einmal am Ruder, so konnten sie wohl nicht mehr hoffen, ihn auf leichte Weise wieder wegzubringen, wie sie sich auch sagen mussten, dass er dann ihr anfängliches Widerstreben zum Vorwand nehmen werde, um sie desto besser knebeln zu können. Sie waren aber alle fest entschlossen, lieber alles mögliche im Kampfe zu leiden, als freiwillig unter das Joch zu kriechen und nach Sclavenart darunter zu verderben. 395 Damit war eine neue Fraction fertig, der Johannes mit seinen Königsgelüsten gegenübertrat. 396 Doch hüteten sie nach außen sorgfältig ihr gegenseitiges Verhältnis, und kam es auch zu keiner oder höchstens nur zu einer unbedeutenden Plänkelei mit den Waffen. Dafür zeigten sie ihren Wettstreit umsomehr dort, wo es auf Kosten des Volkes gieng, indem sie miteinander eiferten, wer von ihnen beiden sich beim Volke die meiste Beute holen könnte. 397 So war die Stadt von drei der größten Plagen, von dem Kriege, der Tyrannei und dem Bruderzwist bedrängt, unter denen noch der Krieg den Bürgern verhältnismäßig am wenigsten wehe that. In Wirklichkeit nahmen ja viele vor ihren eigenen Leuten Reißaus, um zu den Fremden ihre Zuflucht zu nehmen, und sie fanden auch richtig bei den Römern ihre Rettung, an der sie unter den Ihrigen schon verzweifelt hatten.

398 (2.) Schon nahte aber ein viertes Unheil zum Verderben des Volkes. 399 Es lag nämlich eine sehr starke Festung nicht weit von Jerusalem, welche die alten Könige zu dem Zwecke angelegt hatten, um für die Wechselfälle eines Krieges ihre Schätze dort unterzubringen und für ihre eigene persönliche Sicherheit zu sorgen. 400 Sie hieß Masada. Der Platz war schon vor einiger Zeit von den sogenannten Sicariern besetzt worden, welche bis jetzt auf ihren Streifzügen ins umliegende Land außer den Lebensmitteln, die sie nothwendig brauchten, sich sonst nichts angeeignet hatten: die Furcht hatte sie von einer ausgiebigeren Plünderung abgehalten. 401 Als sie aber von der Unthätigkeit des römischen Heeres und von der Spaltung gehört hatten, die unter den Juden zu Jerusalem infolge eigener Uneinigkeit und versuchter Gewaltherrschaft eingerissen, da wagten sie sich auch an Unternehmungen größeren Stiles heran. 402 Es war am Feste der ungesäuerten Brote, welches die Juden zum Andenken an ihre Rettung seit jenem Tage feiern, [331] da sie aus der ägyptischen Knechtschaft entlassen in ihr Vaterland zurückkehrten, als die Sicarier nächtlicherweile und von Niemandem auf dem Wege bemerkt über ein Städtchen, namens Engaddi, herfielen. 403 Alles, was sich hier noch hätte vertheidigen können, das war schon, bevor es zu den Waffen zu greifen und sich zu sammeln vermochte, überrumpelt, auseinandergesprengt und zur Stadt hinausgejagt: was dagegen nicht einmal fliehen konnte, Weiber und Kinder, wurde in der Zahl von über 700 ohneweiters niedergestoßen. 404 Hierauf räumte man die Häuser vollständig aus, raffte das Getreide, so weit es schon reif war, zusammen und schleppte alles nach Masada. 405 Aehnlich plünderte man alle Dörfer in der Umgebung der Veste und verheerte das ganze Land, wobei sich ihnen Tag für Tag nicht wenig schlechtes Gesindel von allen Windrichtungen her beigesellte. 406 Auch in den übrigen Theilen Judäas rührte sich wieder das Raubgesindel, das sich bis dahin stille verhalten hatte. Genau so, wie bei einem menschlichen Leibe, wurden mit der Entzündung des edelsten Organes zugleich alle anderen Glieder von der Krankheit ergriffen: 407 Das heißt, infolge der in der Hauptstadt herrschenden Parteiungen und Wirren bekamen auch die Bösewichter auf dem Lande ganz freie Hand für ihr Räuberhandwerk, das jeder zunächst auf seine Faust und im eigenen Dorfe ausübte, um sich alsdann nach abgelegenen Orten zurückzuziehen. 408 Dort sammelten und verschworen sie sich, um nunmehr schon in förmlichen Rotten, die zwar kleiner waren, als wirkliche Heere, immerhin aber auch gewöhnliche Räuberbanden an Größe übertrafen, über Heiligthümer und ganze Städte herzufallen. 409 Die Leute, gegen die sie ihre Raubzüge richteten, hatten dabei das eigenthümliche Schicksal, dass sie einerseits einen Schaden erlitten, wie er selbst mitten im Kriege nicht größer sein konnte, aber auf der anderen Seite gar nicht zur Gegenwehr, wie im Kriege, kommen konnten, da die Feinde, wie echte Räuber, mit ihrer Beute sofort auf und davon liefen. Es gab in Judäa keine Gegend, die nicht in die Katastrophe der Hauptstadt verwickelt worden wäre.

410 (3.) Alle diese Vorgänge wurden dem Vespasian von den Ueberläufern hinterbracht. Denn mochten auch die Rebellen sämmtliche Ausgänge bewachen und alle niederstechen, die sich unter was immer für Vorwänden denselben zu nähern suchten, so gab es doch immer wieder solche, die durchschlüpften und zu den Römern fliehen konnten, wo sie dann regelmäßig den Oberfeldherrn bestürmten, der Hauptstadt doch einmal zu Hilfe zu kommen und wenigstens die Reste eines Volkes vor der gänzlichen Vernichtung zu bewahren, 411 das zum größten Theil bereits seine Anhänglichkeit an die Römer mit dem Tode habe [332] büßen müssen, während die Ueberlebenden dafür immer dem Tode ins Auge sähen. 412 Jetzt erbarmte sich endlich Vespasian über ihr Unglück und rüstete sich zum Aufbruch gegen Jerusalem, das er äußerlich zwar erobern, in Wirklichkeit aber aus der Bedrängung durch dessen eigene Feinde befreien wollte. 413 Vorher musste er aber noch die übrigen Theile des Landes unterwerfen, und so mit allem aufräumen, was noch von außen her die Belagerung Jerusalems hätte stören können. Er marschierte also zunächst auf Gadara, die stark befestigte Hauptstadt von Peräa, los und hielt am vierten des Monates Dystrus seinen Einzug in diese Stadt. 414 Es hatten nämlich gerade zuvor die Größen der Stadt, ohne dass die Aufständischen daselbst etwas davon merkten, eine Gesandschaft an Vespasian abgeschickt, um wegen der Uebergabe zu verhandeln, wozu sie ebensowohl die Liebe zum Frieden, wie die Sorge um ihr Vermögen veranlasst hatte: in Gadara wohnten ja viele reiche Leute. 415 Von ihrer Gesandtschaft hatte, wie gesagt, die Gegenpartei keine Ahnung: erst als Vespasian schon nahe stand, brachten sie es in Erfahrung. Da sie aber ihren Gegnern in der Stadt selbst numerisch nicht gewachsen waren und die Römer schon nicht mehr weit von der Stadt entfernt sahen, mussten sie alle Hoffnung aufgeben, die Stadt halten zu können, und beschlossen die Flucht zu ergreifen: dies sollte jedoch schandenhalber nicht geschehen, ehe nicht Blut geflossen, und ehe sie nicht an den Schuldigen irgendwie Rache genommen hätten. 416 Sie ergriffen demnach den Dolesus, welcher nicht bloß nach seiner Stellung und Abkunft der vornehmste Mann der Stadt war, sondern auch die Gesandtschaft veranlasst haben sollte, und ermordeten ihn. Selbst den Leichnam verstümmelten sie noch in ihrer maßlosen Wuth und verließen hierauf eiligst die Stadt. 417 Als jetzt die römische Heeresmacht herankam, nahm die Bevölkerung von Gadara den Vespasian mit Begeisterung auf und erhielt von ihm sowohl die Zusicherung der vollen Gnade wie auch eine Besatzung aus Reiterei und Fußvolk, um sich gegen die Streifzüge der flüchtigen Rebellen vertheidigen zu können, 418 was für die Stadt gerade jetzt umso schwieriger war, da die Gadarener aus eigenem Antriebe, ohne erst von den Römern dazu aufgefordert zu sein, ihre Mauer geschleift hatten, damit schon der Umstand, dass sie auch beim besten Willen keinen Widerstand mehr leisten könnten, ihre aufrichtige Friedensliebe verbürgen möchte.

419 (4.) Vespasian sandte zunächst den Flüchtlingen von Gadara den Placidus mit 500 Reitern und 3000 Fußgängern nach und kehrte dann selbst mit dem übrigen Heere nach Cäsarea zurück. 420 Als die Flüchtigen so urplötzlich die verfolgenden Reiter gewahrten, drängten [333] sie sich in ein Dorf, namens Bethennabris, zusammen. 421 Daselbst trafen sie eine nicht unbeträchtliche Zahl junger Leute an, welche sich von ihnen zum Theil freiwillig bewaffnen ließen, zum andern Theil aber dazu gezwungen wurden, worauf man auf gut Glück auf die Mannschaft des Placidus heranstürmte. 422 Dieselbe wich beim ersten Stoß ein wenig zurück, nicht ohne die schlaue Absicht, den Feind von der Mauer weiter wegzulocken. 423 Sobald sie denselben in der rechten Lage hatten, schwenkten die Reiter um die Juden herum und überschütteten sie mit ihren Wurfspießen: wer fliehen wollte, dem war auf diese Weise durch die Reiter der Weg abgeschnitten, während das Fußvolk kräftig auf die noch stehenden Massen einhieb. 424 Die Juden sanken, ohne einen anderen Erfolg zu erreichen, als den, ihre Tollkühnheit gezeigt zu haben. Die Römer, auf die sie einstürmten, standen in dichten Schlachtreihen und glichen in ihren Rüstungen lebendigen Mauern, so dass die Juden weder mit ihren Geschossen eine verwundbare Stelle zu treffen noch bei aller Anstrengung die Schlachtlinien zu durchbrechen vermochten, 425 wohl aber umgekehrt von deren Wurfgeschossen selbst vollständig durchbohrt wurden und wie die tollsten Bestien selber ins Eisen liefen. So erlagen die einen im stehenden Kämpfe dem Schwerte des Feindes, die anderen auf der Flucht den Attaquen der Reiter.

426 (5.) Placidus hatte es nämlich besonders darauf abgesehen, dem ganzen Haufen den Rückzug nach dem Dorfe zu verlegen. Zu diesem Zwecke sprengte er in Person gestreckten Laufes nach dieser Richtung an den Juden vorüber, 427 warf dann das Pferd herum und schoss sofort auf die Feinde, von denen die allernächsten ihm ein sehr gutes Ziel boten und darum leicht niedergestreckt wurden, während die entfernteren in ihrer Angst vor ihm Kehrt machten, bis sich endlich doch die tapfersten aus ihnen mit aller Gewalt durchschlugen und fliehend die Mauer erreichten. 428 Jetzt aber kamen die Wachen in die größte Verlegenheit: denn die Gadarener zum Dorfe hinauszusperren, das konnten sie schon wegen ihrer eigenen Leute nicht über sich bringen, ließ man aber dieselben herein, so waren voraussichtlich alle miteinander verloren. Das blieb auch nicht aus. 429 Schon in dem Momente, da sich alles in dichten Haufen an die Mauern herandrängte, wären auf ein Haar fast auch die römischen Reiter mit eingedrungen. Aber auch dann, nachdem es den Juden noch gelungen war, die Thore zuzuwerfen, brachte Placidus durch einen Sturm, den er bis zum Eintritt der Dämmerung in heldenmüthigster Weise unterhielt, Mauer und Stadt in seine Gewalt. 430 Die kampfunfähige Menge ward nun kurzweg niedergestoßen, während die kräftigere Mannschaft entfliehen konnte. Die Häuser wurden von den Soldaten ausgeplündert, und [334] dann das Dorf angezündet. 431 Die Flüchtlinge des Ortes aber brachten auch die Leute am flachen Lande bei ihrem Erscheinen in Aufruhr und scheuchten sowohl durch die übertriebene Schilderung ihrer ausgestandenen Leiden, wie auch durch die Angabe, dass schon das ganze Römerheer heranrücke, allenthalben die gesammte Bevölkerung von ihren Wohnsitzen auf. So schwollen sie zu einem großen Menschenstrom an, der seine Flucht in der Richtung nach Jericho zu nahm, 432 weil ihnen diese ebenso stark befestigte, wie stark besetzte Stadt allein noch Hoffnung auf Rettung versprechen konnte. 433 Die ausgezeichnete Reiterei, wie auch das bisherige Waffenglück ermuthigte aber auch den Placidus zur weiteren Verfolgung, auf welcher er bis zum Jordan immer neue Flüchtlinge einholte und ohne Ausnahme niedermachte. Endlich hatte er die ganze Menschenmasse gegen den Fluss hin zusammengetrieben, dessen von Regengüssen angeschwollenes und ganz unzugängliches Bett sie unmöglich überschreiten konnte, und stellte sich nun ihr gegenüber in Schlachtordnung auf. 434 Die Verzweiflung trieb jetzt die Juden, die keinen Ausweg zur Flucht mehr hatten, in den Kampf. In einer langgestreckten Linie an den steilen Uferrändern aufgestellt, erwarteten sie den Hagel der Geschosse und den Ansturm der Reiterei. Eine große Zahl von Juden sank von derselben getroffen den Strom hinab: 435 was unter den Händen der Römer unmittelbar den Tod fand, betrug allein an 15.000 Menschen, während die Zahl derjenigen, die mit Gewalt in den Jordan hineingesprengt wurden, ganz ungeheuer war. 436 Bei 2200 Gefangene und eine riesige Menge Beute von Eseln, Schafen, Kameelen und Ochsen fiel in die Hände der Sieger.

437 (6.) Dieser Schlag nun, den hier die Juden erlitten hatten, und der allerdings an Schwere den früheren nichts nachgab, erschien den Rebellen sogar noch größer, als er in Wirklichkeit war. Denn nicht bloß war der ganze Landstrich, durch den sie hingeflohen waren, mit Gefallenen besäet, und selbst der Jordanübergang durch die Todten gesperrt, sondern es wurde sogar der Asphaltsee mit den Leichen angefüllt, die massenhaft von der Strömung des Flusses in denselben hinabgetragen wurden. 438 Placidus benützte aber auch seinen Vortheil, indem er sich eilig gegen die Städtchen und Dörfer in der Runde wandte und Abila, sowie auch Julias und Besimoth nebst allen Ortschaften bis zum Asphaltsee in seinen Besitz brachte, die er dann mit den geeignetsten Personen aus der Zahl der Ueberläufer besetzte. 439 Hierauf bemannte er mit seinen Kriegern eine Reihe von Kähnen und säuberte auch den See von den Flüchtigen. So war jetzt auch das ganze Gebiet von Peräa bis Machärus hinunter zum Theil aus freien Stücken auf die Seite der Römer getreten, zum Theil mit Gewalt unterworfen.

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