Zum Inhalt springen

Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/100

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

„Guten Quelle“ auf dem Brühl ein. Dann und wann glaubte ich auch in der Tuchhalle an der Hainstraße in verständigem Gespräch mit irgendeinem biederen Handwerksmeister, der von „Achtung für meine Herren Kalamitosen“ durchdrungen war, mir eine „Gose“ gönnen zu dürfen. Ob die Behauptung mancher Kneipzeitungen, daß dieses erquickende Getränk zuerst von Jakob und seinen Söhnen im Lande Gosen gebraut worden sei, wirklich begründet ist, vermag ich nicht zu sagen; jedenfalls erinnert seine Farbe an die des Nils in der Überschwemmungszeit und die langhalsige Flasche an ägyptische Gefäßformen. Am liebsten trank ich das edle Naß im Garten der Gosenschänken in Gohlis und Eutritzsch und wunderte mich nicht, daß Blücher und seine Helden an jenem 17. Oktober gerade auf diese Dörfer so stürmisch losgegangen waren. Wein, auch mäßig genossen, bedeutete für mich unverantwortliche Ver­schwendung, ich besuchte daher nie die Frühkneipe, die unser Langer mit einigen in starkem Wechselstrom schwimmenden Paulinern in Huths Weinstube am Universitätshofe, der „Huthschachtel“, abzuhalten pflegte. Nur in Auerbachs Keller bin ich einmal gewesen. Ich mußte doch die Stelle kennenlernen, wo Goethe gemerkt hatte, daß Leipzig ein klein Paris sei; zu den Leuten, die es bildete, gehörte ich ja selbst. Studenten traf ich dort nicht und keines Basses Grundgewalt schallte von den Gewölben wider. Wenn mich etwa im Hinblick auf meine Paulinermütze irgendein Frosch gefragt hätte: „Seid ihr wohl gar ein Virtuos?“ so würde ich mit Mephistopheles wahrheitsgemäß haben antworten können: „O nein, die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.“ An der Örtlichkeit hatte sich seit Fausts Zeiten offenbar manches geändert. Der Tisch mit den Borlöchern stand nicht mehr da; nur etwas Brand­geruch spürte ich noch, vielleicht kam er aber aus der Küche. Übrigens konnte ich den Wein, nach allem was er mir mit­gespielt, nicht als meinen aufrichtigen Freund ansehen, wie vermochte ich da der seinige zu sein? Bei aller dem Meißner

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/100&oldid=- (Version vom 5.6.2024)