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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/101

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Kinde angeborenen Einsicht in die herzerfreuenden Eigenschaften eines guten Tropfens blieb ich ihm stets ein schwacher Gelegenheitstrinker. Auch dem Kaffee brachte ich, obwohl aus dem Herzen Sachsens stammend, wenig Leidenschaft entgegen. Zwar leistete ich mir bisweilen ein Schälchen des würzigen Trankes, im Anschauen des großstädtischen Getriebes selbstzufrieden auf dem hohen Söller des Kaffeehauses Felsche am Augustusplatze sitzend, um nachzuholen, was mir auf der Brühlschen Terrasse in Dresden versagt geblieben war. Aber in dem engen und dunklen Paulinerkaffee der Mutter Zaspel, wo die meisten beim Qualm des Tabaks und dem Klatschen der Skatkarten sich behaglich fühlten wie die Würste in der Räucherkammer, bin ich weder nachmittags noch nachmitternachts oft anzutreffen gewesen. An warmen Sommerabenden ließ ich mir bisweilen im Milchgarten zu Gohlis eine kühlende Schüssel saure Milch schmecken. Es gab auch Zeiten der Magenverstimmung, wo ich die sprudelnde und perlende Kraft des Selterswassers an mir erprobte. Doch waren das alles nur belanglose Nebenflüssigkeiten – wenn ein ordentlicher akademischer Durst mich plagen wollte, verschob ich ihn auf den nächsten Paulinerkneipabend: dort behandelte ja der weitberühmte Naturheilkundige Hofbraumeister Gambrinus mit staunenswertem Erfolge die inneren Leiden des Studenten.

Die Ferien habe ich gewöhnlich, mit langsamer Kraft arbeitend, bei den Meinigen in Meißen verlebt. Das dem Ferienstudenten unentbehrliche Ansehen bei den heimischen Philistern glaubte ich mir durch den schweren Tritt zweier gewaltiger Kanonenstiefel erzwungen zu haben, die mir mein Bruder hatte machen lassen, um meinem Studium kräftig auf die Beine zu helfen. Hier hatte ich auch Gelegenheit, das rätselreiche Völkchen des Theaters in der Nähe kennenzulernen. Nach der Vorstellung sammelten die männlichen Stützen des Schauspiels in dem kleinen Gasthause zum „Schiffchen“ an der Elbe allabendlich einen Kreis von Verehrern

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/101&oldid=- (Version vom 6.6.2024)