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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/102

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und Verehrerinnen um sich und ließen sich von ihnen nicht bloß bewundern, sondern auch bewirten. Wie oft klagte da einer über den kargen Lohn, den die Kunst ihren Jüngern bringe und der ihnen als Abendmahlzeit meist nur Kartoffeln mit Hering abwerfe, um dann mit der ganzen Inbrunst eines knurrenden Magens zu beteuern, daß ihm augenblicklich eine Portion Schweinebraten ein Göttermahl sein würde. Das war auch für meinen Bruder, den ich manchmal dorthin begleitete, ein nicht mißzuverstehender Wink, mit der Kellnerin ein vertrauliches Wort zu reden. Die schmackhaftesten Erfolge ernteten an der Tafelrunde der erste Held und Liebhaber, ein schon etwas reifer Jüngling mit nichtssagendem Haarkünstlerkopf und Redeschwall. Wir hielten uns mehr an einen tiefer angelegten Mimen, den die Lenkerin des Thespiskarrens mit Rücksicht darauf, daß er außer der Begabung über einen guten schwarzen Anzug und eine vornehme Haltung verfügte, gern in Rollen von Grafen, Geheimräten und ähnlichen erlesenen Geistern beschäftigte, die er mit vieler Würde und Herablassung darzustellen wußte. Er war auch dichterisch veranlagt und vertraute mir eines bierseligen Abends eine selbsterzeugte Ode an, in der er die Schwingen seiner Seele an den Flügeln des hoch auf Bergesgipfeln horstenden Adlers maß. Aber nicht lange nachher hat er sich auf den Boden der Wirklichkeit zurückgefunden und den schlecht nährenden Beruf des Schauspielers und Dichters aufgegeben. Er wurde Meßgehilfe beim Eisenbahnbau, ging dann zur Feuerwehr über und hat jahrzehntelang als ein tüchtiger und tapferer Dresdner Oberfeuerwehrmann ernsthafte Heldenrollen gespielt. In mir vermochten weder diese Bekanntschaften noch meine eigenen Erfolge in der „Perpetua“ schauspielerische Neigungen erwecken.

Im Sommer 1876 verbrachte ich die großen Ferien in Leipzig, um fleißig arbeiten zu können. Als aber im September in der Merseburger Gegend die Kaisermanöver zwischen

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/102&oldid=- (Version vom 6.6.2024)