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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/103

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unserem zwölften und dem preußischen vierten Armeekorps abgehalten wurden, ließ es mir und meinem Freunde Otto Fischer, dem Sohne eines alten Kavalleristen, keine Ruhe, wir mußten hin. Unser Wunsch war es natürlich, den Kaiser und Moltke zu sehen. Wir marschierten am Schlußtage des Manövers kräftig mit über Stock und Stein und hatten Glück: auf einer Bodenwelle sahen wir beide hoch zu Roß, den Gang der Schlacht beobachtend. Wir pürschten uns trotz der Feld­gendarmen so nahe als möglich heran, und ich faßte mit dem Fernglase die großen Herren scharf ins Auge. Der Kaiser bemerkte das und lächelte uns freundlich zu; der in Kanonenstiefeln breitbeinig hingepflanzte kleine Verehrer schien ihm Spaß zu machen. Gegen Abend traf ich dann durch glücklichen Zufall auch noch meinen Bruder Paul, der als Einjähriger bei den Leibgrenadieren diente, über und über mit Staub und Schweiß bedeckt, so daß er durch die Brille kaum aus den Augen sehen konnte. Ich vermochte ihm aus meinem Mundvorrat eine kleine Erquickung zu bieten, die ihm sehr gelegen kam, da die Proviantwagen eine falsche Richtung eingeschlagen hatten und erst nachts bei der Truppe eintrafen. Mir ist dieser Ma­növertag als ein glänzendes Stück von der Wehrhaftigkeit des kaiserlichen Deutschlands unvergeßlich geblieben.


In gelehrter Gesellschaft.

Mit dem Aufstieg in die höheren Lagen des Wissenschafts­bereiches lichteten sich mir allmählich die Nebel, die über meiner Zukunft schwebten. Ich erkannte deutlicher die mir gesteckten Ziele und steuerte ihnen zuversichtlicher entgegen. Meinen Neigungen folgend, glaubte ich von der Vorbereitung auf einen Beruf absehen zu können, der mir wenig innere Befriedigung versprach und nur ein Notbehelf hatte sein sollen. Mit dem vierten Semester gab ich die philologischen Studien auf und

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/103&oldid=- (Version vom 7.6.2024)