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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/117

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Waffenplatz vorkam, diese Bedeutung von einem früheren Benutzer hinzugeschrieben; ich machte von der Eselsbrücke gern Gebrauch und erntete für meine gute Wortkenntnis das Lob des prüfenden Rektors.

Bei dem menschenfreundlichen Professor Heinze ging alles glatt. Er konnte sich leicht überzeugen, daß ich nicht damit umging, die Welt durch ein neues System der Philo­sophie aus den Angeln zu heben. Zuletzt kam die National­ökonomie. Da versteifte sich der würdige alte Roscher zunächst darauf, gerade von mir in die Ansichten Adam Smiths über allerlei Wirtschaftsfragen eingeweiht zu werden. Ich hatte dessen Untersuchung über Natur und Gründe des Volksreich­tums gelesen, aber nicht durchgearbeitet, und konnte daher die Wißbegier des Examinators nur unvollkommen befriedigen. Bei so einer Prüfung spielt ja immer das Gedächtnis die wichtigste Rolle, und das war nicht meine Stärke. Zwar habe ich es später dahin gebracht, eine eigene Abhandlung auswendig zu lernen und in einstündigem Vortrage Wort für Wort ohne die leiseste Stockung wiederzugeben, aber für fremde Gedankengänge fehlte es mir an der gleichen Sicherheit des Gedächtnisses. Zudem hatte ich wohl überhaupt neben den Vorlesungen, die ich regelmäßig besuchte, das wissen­schaftliche Schrifttum nicht genug durchgenommen. Was konnte ich aber auch dafür, daß ich aus der schönen Literatur so viel nachzuholen hatte, wozu mir auf der Schule keine Zeit geblieben, daß Malthus und Ricardo, Rodbertus, Marx und Marlo mich nicht so unwiderstehlich anzogen wie Goethes Wilhelm Meister und Wahlverwandtschaften, Immermanns Münchhausen, Gutzkows Ritter vom Geiste und Zauberer von Rom, Freytags Soll und Haben und verlorene Hand­schrift, Reuters Stromtid und so manches andere Meister­werk? Roscher pflegte seinen Hörern dringend zu raten, in den Zeitungen besonders den volkswirtschaftlichen Teil auf­merksam zu lesen. Ich hatte dies getan und mich um praktische

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/117&oldid=- (Version vom 10.6.2024)