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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/121

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einzuführen, verlangte aber von ihnen ein hohes Maß von Vor- und Mitarbeit an den Übungsaufgaben. Das waren die bisherigen Mitglieder der Gesellschaften Voigts und Wuttkes nicht gewöhnt. Voigt wäre wohl der Mann gewesen, ihnen eine ebenso gründliche Schulung an­gedeihen zu lassen, wenn nicht sein Gehörleiden ihn an der vollen Entfaltung seiner Kräfte verhindert und ihn statt der Übungen auf bloßem Lehrvortrag angewiesen hätte. Wuttke hin­gegen vermochte der Aufgabe um deswillen nicht uneingeschränkt zu genügen, weil er, in Vorurteilen befangen, sich manchen Anforderungen der neueren Forschungsweise versagte. Bei beiden waren wir zu sehr Schüler, zu wenig Mitarbeiter gewesen. „Die Wuttkianer wollen nicht ordentlich arbeiten“ hatte einmal Karl Lamprecht geäußert, der unter den Teil­nehmern des neuen Seminars unstreitig der fleißigste und be­gabteste, freilich auch nicht gerade der anspruchloseste war. Sein hartes Urteil erregte natürlich unsere tiefste Entrüstung, ganz unbegründet war es aber nicht.

Für mich kam die Errungenschaft Noordens überhaupt zu spät. Wie der Ausguckmann, der im Mastkorbe unver­wandt nach dem Hafen ausschaut, saß ich in meinem Vogel­bauer und verfolgte jede Aussicht auf eine geeignete Stellung. Und es eröffneten sich bald Möglichkeiten nach zwei Seiten hin. Für das Staatsarchiv in Weimar wurde ein Hilfs­arbeiter gesucht. Ich meldete mich und wurde eingeladen, mich vorzustellen. Mit Frack und Zylinder angetan dampfte ich hoffnungsfroh hin. Aber das philisterhafte Wesen des Archivdirektors und die kleinstaatlich beschränkten Verhältnisse, die ich in der Unterredung mit ihm kennenlernte, brachten mir eine bittere Enttäuschung. Ohne auch nur die Heiligtümer der Musenstadt aufgesucht zu haben, kehrte ich in gedrückter Stimmung nach Leipzig zurück. Nachher fand es sich, daß ich zwar mit auf der Vorschlagsliste gestanden, daß jedoch „Serenissimus“ unter huldreichster Hinzubewilligung einiger

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/121&oldid=- (Version vom 12.6.2024)