Zum Inhalt springen

Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/63

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

als ehrliebende Söhne eines Weingaues verwerflich und aller Lebensart seit Erzvater Noah widersprechend. Welch ein überraschender Anblick aber, als wir am anderen Morgen aus dem Hause traten: um uns herum das bunte Treiben eines Wochenmarktes mit allerlei fremdartigen bäuerlichen Ge­stalten und Landeserzeugnissen, zu Füßen der von Dampfern und Kähnen belebte breite Strom, drüben das freundliche Städtchen Ofen, oben das mächtige Schloß und daneben der hohe befestigte Blocksberg. Ein Rundgang zeigte uns ein merkwürdiges Gemisch von unbedeutender Landstadt und aufstrebender Großstadt, wenige hervorragende Gebäude und viele schlichte Häuschen mit auffälligen bunten Bildern an den Läden, die auf keinen hohen Bildungsgrad von Käufern und Verkäufern hindeuteten, aber die Straßen schon asphaltiert und von einer geschäftigen Menge durchflutet. Im Gegensatze zu Prag berührte es angenehm, daß die Angehörigen der oberen Stände fast durchweg deutsch verstanden und uns höflich in unserer Sprache antworteten, dennoch hatte ich den Eindruck, als ob diese stolzen Halbasiaten gegen uns als nächste Landsleute jenes streitbaren Heinrich, der ihnen die große Schlappe bei Merseburg beigebracht hatte, noch etwas ver­stimmt wären. Wir setzten auf einem kleinen Schraubendampfer über die grüne Donau, erquickten uns in dem gut eingerichteten Raitzenbad, fuhren mit der Drahtseilbahn auf den aussichtsreichen Schloßberg und kehrten über die Kettenbrücke nach Pest zurück. Ein Geschäftsfreund meines Schwagers hatte uns zu Tische geladen; ich lernte in ihm einen ungarischen Juden und in seiner Frau eine hübsche Tochter der Pußta kennen, die uns gastfreundlich empfing und uns ihr Volks­gericht, einen stark gepfefferten Gulasch, mit der angeborenen selbstbewußten Liebenswürdigkeit ihrer Rasse vorsetzte und rühmte.

So einigermaßen in ungarisches Wesen eingeweiht, traten wir nach zweitägigem Aufenthalte die Rückreise an; sie führte

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/63&oldid=- (Version vom 29.5.2024)