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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/84

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regelmäßig zu einem schon vorbereiteten Kaffeestündchen im Garten des Schützenhauses ein. Über diesem Morgen lag der ganze Reiz des gemütlichen Verhältnisses der Pauliner zu ihrem Vater Langer, der, Kaffeekanne und Kuchenteller in der Hand, mit seiner liebenswürdigen Gattin ergötzlich wett­eiferte, an ihnen auch Mutterstelle zu vertreten. – Gegen Ende des Monats wurde ein großes Sommerfest mit Gartenkonzert und Tanzvergnügen im Schützenhause abgehalten. Eine tausendköpfige geladene Zuhörerschaft, darunter viele alte Häuser von auswärts mit weiblichem Zubehör, lauschte hier den vorwiegend heiteren Gesängen, und hunderte lieb­reizender Sächsinnen drehten sich dann mit anschmiegungslustigen Jünglingen froh im Kreise. Die zahlreichen Brüder, die wie ich, dem Herumhüpfen im Gedränge des heißen Saales keinen Geschmack abgewinnen konnten, ließen sich in der offenen Gartenhalle zu einer Kneip- und Liedertafel, Knopptafel genannt, nieder, die allmählich auch auf die Tänzer ihre An­ziehungskraft ausübte. Bald nach Sonnenaufgang zog die fröhliche Gesellschaft im Gänsemarsch durch die schweigenden Gassen zum Kaffeetrunk nach Bonorands Wirtschaft im Rosentale.

Die Reihe der sommerlichen Feste war noch nicht erschöpft, das Hauptvergnügen sollte erst kommen. Jedes Jahr gingen von Freunden des Paulus und Verehrern seiner Sangeskunst aus der Provinz Botschaften ein, die ihn zur Veranstaltung von Konzerten für milde Zwecke einluden. Die erste dieser „Konzertspritzen“, die ich mitmachte, ging nach der gastfreund­lichen Fabrikstadt Greiz. Einzug durch die fahnengeschmückten Straßen, am Sonntagmorgen Frühstück im Freien auf einem schönen Aussichtspunkte, wo das staunende Auge das ganze Fürstentum Reuß älterer Linie und noch einige Nachbar­länder dazu überschauen konnte, nachmittags weltliches Kon­zert, abends Ball, am andern Morgen Ausflug nach dem Städtchen Berga, auf dessen gebirgigem Marktplatze man an

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/84&oldid=- (Version vom 3.6.2024)